Die Sphinx Emanuel Lasker
So hatte der Schachhistoriker Dr. Michael Negele beim letzten Ärzteschachturnier in Bad Homburg seinen höchst unterhaltsamen Vortrag über das Leben und Wirken des deutschen Schachweltmeisters Dr. Emanuel Lasker, der heuer seinen 150. Geburtstag feiern würde, überschrieben. Einen geeigneteren Referenten kann man sich nicht vorstellen, schließlich ist Dr. Negele der Herausgeber einer großen Lasker-Biographie und wird auch ein kommendes Opus magnum in drei schwergewichtigen Bänden über diesen betreuen.
Ganze 27 Jahre war Dr. Emanuel Lasker (1868–1941) Schachweltmeister, von 1894 bis 1921, länger als jeder andere – wohl ein Rekord für die Ewigkeit. Noch mit fast 70 Jahren zählte er zu den Besten der Welt und nach einer Umfrage war er um die Jahrhundertwende im Ausland der bekannteste Deutsche neben Wilhelm II.
Dabei war Lasker alles andere als ein Schachbesessener, immer wieder machte er jahrelang „Ferien“ vom Schach. Zur Vorbereitung auf seinen WM-Kampf 1908 gegen Dr. Siegbert Tarrasch, seinen großen Rivalen und Ahnherrn aller schachspielenden Ärzte, fuhr er mit einem Freund aufs Land – ohne ein Schachbrett und ohne Schachlektüre. Ihre Zeit verbrachten sie mit dem japanischen Go-Spiel.
Lasker schrieb Bücher über Philosophie und ein Drama mit seinem ebenfalls sehr gut Schach spielenden Bruder Dr. Berthold Lasker, einem Arzt, der eine Zeitlang mit der Lyrikerin Else Lasker-Schüler verheiratet war. Er entwarf Spiele, nach ihm, dem promovierten Mathematiker, ist ein mathematisches Theorem benannt, mit dem befreundeten Albert Einstein diskutierte er bei Spaziergängen in Berlin dessen Relativitätstheorie. Er versuchte sich aber auch mit der Landwirtschaft, hatte Kühe und Hühner, baute Kohl an und erntete eigene Kartoffeln, die allerdings an Schwindsucht litten. Als ein Taubenpärchen schließlich nach zehn Monaten immer noch keine Jungen bekam, verzweifelte er und fragte einen Fachmann, der ihm beschied, dass bei zwei Männchen die Aussichten auf Nachwuchs gering seien – Laskers Stärken lagen wohl doch eher im Geistigen.
Viele Weltmeister waren als Charaktere umstritten, aber ihr schachliches Können wurde selbst von den schärfsten Gegnern meist anerkannt. Nicht so bei Emanuel Lasker. Die meistgebrauchte Vokabel zur Beschreibung seines Spiels hieß „Glück“; manche unterstellten ihm gar Hypnose, und Bobby Fischer nannte ihn schlicht einen Kaffeehausspieler, der von Eröffnungen und Positionsspiel keine Ahnung gehabt habe. Andererseits schätzen die ehemaligen Weltmeister Garry Kasparow und Wladimir Kramnik, wahrlich nicht die schlechtesten Gewährsleute, seine Schachkunst außerordentlich. All das ändert freilich nichts daran, dass Lasker nach zehn Zügen „im Hemd stehen“ und trotzdem gewinnen konnte; er hatte die vielleicht meisten Verluststellungen aller Weltmeister. Dr. Negele: „Sehr häufig sind Laskers Partien im Anfangsstadium farblos, ja sogar für ihn fragwürdig – plötzlich aber erwacht er und zaubert.“
Wie das Leben überhaupt, so betrachtete er auch das Schachspiel zuallererst als „Kampf“, den man (auch) mit psychologischen Mitteln führen müsse. Lasker meinte, es gebe so viele gute Züge wie verschiedene Gegner. „Dieser Zug ist gegen Tarrasch sehr gut, gegen Janowski wäre er ein grober Fehler“, soll er einmal gesagt haben. Prompt versuchte er immer das aufs Brett zu bringen, was nach seiner Ansicht dem Gegner am unbequemsten war und insofern dessen Schwächen ausnutzte. Es ging ihm also nicht um den „wissenschaftlich“ richtigen, sondern den konkret unangenehmsten Zug für sein jeweiliges Gegenüber.
Während seines WM-Wettkampfs mit Tarrasch schrieb er: „Wie sich einer im Glück und Unglück verhält, wie in Bedrängnis oder in bequemen Lagen, wie, wenn die Hoffnung rege wird und wie, wenn sie weicht – all dies macht die Spielstärke aus.“
An herausragenden Partiebeispielen aus Laskers langer Karriere ließ Dr. Negele mich als seinen folgsamen Assistenten am Demo-Brett unter anderem die Schlussphase von Laskers Sieg gegen Dr. Max Euwe (übrigens auch ein Mathematiker) vom Turnier in Zürich 1934 zeigen. Immerhin war Lasker damals schon 66 Jahre alt, während sein 33 Jahre junger Widersacher ein Jahr später den Russen Alexander Aljechin als Weltmeister entthronen sollte.

(wKh1, Dc6, Te1, Ba4, b3, f3;
sKg7, Td4, Tg5, Sf4, Ba7, e6, f7, g6)
Der alte Lasker hatte als Schwarzer 14 Züge früher die Dame geopfert und die Ohnmacht der weißen Dame demonstriert. Mit welchem feinen Zug bewog er nun als Schwarzer seinen exakt halb so alten Gegner zur sofortigen Aufgabe?
Nach dem „aggressiven Rückzug“ 1...Td8! gab Euwe als Weißer schon auf, weil er die Mattdrohung durch 2...Th8 nicht sinnvoll parieren kann – so scheitert 2.Dc3+ an 2...e5!, aber ja nicht 2...f6?? 3.Dc7+ mit Gewinn des Turms d8.
PS:
Falls Sie das Andenken an diesen einzigartigen deutschen Schachmeister hochhalten und vielleicht fördern wollen, können Sie gerne der 2001 in Potsdam gegründeten Emanuel-Lasker-Gesellschaft (von der Dr. Negele und ihr Chronist Gründungsmitglieder sind) beitreten.
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