Diskrepanz zwischen Leitlinie und Praxisalltag bei Schlafstörungen

Essen – Bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen können Leitlinienempfehlungen und Behandlungsalltag weit auseinanderliegen. Dazu fand Corinna Frohn, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Schlafmedizin in Solingen, im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) deutliche Worte: „Die Leitlinien stehen im absoluten Gegensatz zur Realität.“
So werde die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) als erste Behandlungsoption empfohlen. „Im Behandlungsalltag ist es jedoch so, dass viele Patienten keine Verhaltenstherapie wollen. Viele kommen erst nach einem langen Leidensweg beim Schlafmediziner an und sagen dann, dass sie keine weiteren schlafhygienischen Maßnahmen wollen, weil die jahrelang schon mehr oder weniger erfolgreich versucht worden sind“, schilderte Frohn.
Viele Patientinnen und Patienten seien auch bereits derart erschöpft, dass sie weitere therapeutische Maßnahmen gar nicht durchhielten oder abbrechen würden.
„Deshalb würde ich sagen, dass ich mindestens der Hälfte meiner Patienten eine medikamentöse Therapie anbiete. Man hat aufgrund der Leitlinien fast ein schlechtes Gewissen dabei, aber die meisten Niedergelassenen, mit denen ich mich austausche, machen es genauso. Es geht in der Versorgung gar nicht anders. Und die Erfolge bei den Patienten sprechen zudem dafür“, sagte Frohn.
Die S3-Leitlinie zu Insomnie bei Erwachsenen ist derzeit in Überarbeitung. Doch auch in der neuen, für Anfang 2025 erwarteten Fassung wird die KVT-I als Therapie erster Wahl empfohlen werden, wie Dieter Riemann, DGSM-Vorstandssprecher, gestern auf einer Pressekonferenz im Vorfeld der Jahrestagung, die vom 14. bis 16.11. in Essen stattfindet, sagte.
„Wir denken, dass die KVT-I ein sehr gutes Mittel ist, um Menschen mit Insomnie zu behandeln.“ Allerdings gebe es zu wenig Therapeutinnen und Therapeuten, die eine solche Therapie anbieten. „Die Wartezeiten sind extrem lang.“
Mittlerweile gebe es auch Digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAs) auf dem Gebiet. So könnten mehr Patienten eine KVT-I vorgeschlagen werden. „Mit ganz guten Erfolgen.“ Bausteine der KVT-I sind unter anderem Psychoedukation, Entspannungstechniken, Schlafrestriktion, und kognitive Therapie.
Der DGSM-Vorstandssprecher sieht die Leitlinie als Appell, die KVT-I stärker einzusetzen. Bislang bekämen nur ganz wenige Menschen in Deutschland eine solche Therapie. „Also wenn das fünf Prozent aller Betroffenen sind, dann ist das sehr viel. Die Evidenzlage ist aber so, dass man sagt, eigentlich müsste man das jedem mal anbieten.“
Doch er kenne auch Patientinnen und Patienten, die einen „Quick Fix“ möchten, sagte Riemann. „Das kann die Verhaltenstherapie nicht leisten. Da muss man gucken, welche Optionen es gibt und auch aufklären, welche Risiken etc. die medikamentöse Behandlung letztendlich haben kann. Aber selbstverständlich sind wir keine Feinde der medikamentösen Behandlung, sondern es soll das, was im Moment richtig ist, eingesetzt werden.“
Häufig würden Patienten eine Verhaltenstherapie aber auch mit Tipps zur Schlafhygiene verwechseln. Durch dieses Missverständnis würden viele Betroffene bei einer KVT-I abwinken und sagen: „Das kenne ich, das hilft mir nicht, das bringt nichts.“ Klar sei, dass Arzt oder Ärztin gemeinsam mit den Betroffenen über die Form der Behandlung entscheiden. „Wer keine Verhaltenstherapie möchte, dem wird sie auch nicht aufgezwungen.“
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