Dorian-Gray-Effekt: Wie Namen unser Aussehen verändern

Jerusalem – Im Namenraten sind Menschen erstaunlich gut. Ein Profilbild reicht aus, damit die Trefferquote bei einer Auswahl von vier Namen, häufiger als der Zufall es erlaubt, auf den richtigen Namen fällt. Vor allem, wenn die Person auf dem Foto aus demselben Kulturkreis stammt, tritt der Dorian-Gray-Effekt ein – so nennen Psychologen die These, dass Menschen ihr Aussehen an ihren Namen anpassen. In acht Einzelstudien haben Psychologen aus Jerusalem und Paris diesen Effekt nachgewiesen. Die Ergebnisse wurden im Journal of Personality and Social Psychology publiziert (2017; doi: 10.1037/pspa0000076).
Im Experiment entschieden sich 33 Prozent der französischen Teilnehmer und 38 Prozent der israelischen Teilnehmer für den richtigen Namen des Mannes aus Israel auf dem oben abgebildeten Foto (p < 0,034 beziehungsweise p < 0,001). Würde das Ergebnis auf reinem Zufall basieren, hätte die Trefferquote bei nur 25 Prozent liegen dürfen. Ein soziales Merkmal (social tag), das die Gesellschaft an einen Namen knüpfe, spiegle sich im Erscheinungsbild des Gesichts wider, schlussfolgert Erstautor Yonat Zwebner von der Hebrew University of Jerusalem. Demnach entscheiden nicht nur die Gene oder die Ernährung der Mutter darüber, wie ihr Kind aussieht. Schon der Name dirigiert den Nachwuchs aufgrund von sozialen und kulturellen Erwartungen in eine bestimmte Richtung. „Bereits bei der Namenswahl für ihren Nachwuchs können Eltern daher entscheidende Weichen legen“, ist auch der Psychologe Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg überzeugt.
Insgesamt hatten die Forscher um Zwebner mehr als je 100 Teilnehmern aus Frankreich und Israel Bilder von 100 Menschen in verschiedenen Versuchsreihen gezeigt. Zum einen mussten Versuchspersonen den Fotos Namen zuordnen, zum anderen wurden Porträtaufnahmen von Menschen mit denselben Namen in Bezug auf persistierende Eigenschaften analysiert. In 25 bis 40 Prozent der Fälle schafften es die Teilnehmer, die Namen richtig zu erraten. Am besten war die Quote, wenn die fotografierte Person aus dem gleichen Land kam wie der Ratende.
Auch Computer lernen, Namen zu erraten
In zwei weiteren Studien erlernte ein Computerprogramm, Gesichter anhand von Namen zu erkennen. Basierend auf einem Algorithmus bekam die intelligente Maschine ähnliche Aufgaben wie die menschlichen Teilnehmer, jedoch in weit größerem Ausmaß: Bei 94.000 Gesichtern sollte der Computer aus jeweils zwei Namen den richtigen auswählen. Auch hier lag die Trefferquote wieder über der Zufallsquote. Am besten erkannte der Computer Gesichter von Menschen namens Veronique mit 65 Prozent bei einer 50/50-Chance. Unter den männlichen Profilbildern lag die intelligente Maschine bei Laurent mit 64 Prozent am häufigsten richtig.
Carbon, der nicht an der Studie beteiligt war aber zu ähnlichen Phänomenen forscht, faszinieren die Ergebnisse der neuen Studie. „Bisher fokussierten Forscher auf Effekte, die darauf beruhen, dass bestimmte Objekte einen bestimmten Namen erhalten, die zu ihnen passen“, erklärt Carbon. Grundlagenarbeiten von Wolfgang Köhler aus den 1920er-Jahren konnten zeigen, dass Menschen überzufällig häufig bestimmte Namen für Objekte präferierten, die die Gestalt (Wesensart, Stil) am besten umschreiben konnten. Ein Objekt, welches viele Ecken aufweist, wurde beispielsweise präferiert mit dem Namen „Kiki“ versehen als mit „Bouba“. Denn Bouba passt ganz offensichtlich eher zu einem rundlichen Gegenstand. Die vorliegende Studie befasst sich mit der entgegengesetzten Richtung des Effekts. „Nicht der Name passt sich an das Objekt an, sondern der Mensch an seinen Namen“, sagt Carbon.
Oscar Wildes Roman als Vorbild
Diese These wird in der Fachliteratur als Dorian-Gray-Effekt bezeichnet, benannt nach Oscar Wildes Roman, bei dem sich das Porträt des Protagonisten seinen Wesenszügen annähert. Genauso scheint es in der realen Welt zu sein: „Menschen passen sich in vielfältiger Weise den Gegebenheiten an, auch hinsichtlich ihres Aussehens“, erklärt der Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre das Prinzip des „social structuring“.
Bisher bereits nachgewiesene Einflussfaktoren seien dabei Gender-Aspekte oder der sozio-ökonomische Status. Hinzu kommen namensspezifische Faktoren: Bestimmte Namen suggerieren einen mehr oder weniger hohen Status oder unterschiedliche Ernsthaftigkeit. Man denke nur an Kevin respektive Hartmut, verdeutlicht Carbon das Beispiel. „Solche Namenszuordnungen können zu selbstprophezeienden Hypothesen führen. Sie fördern Tendenzen, sich auch den Erwartungen entsprechend darzustellen.“ Die Frisur, der Bart, aber auch vermehrtes Lächeln oder ein grimmiger Blick seien Variablen, anhand derer Menschen sich orientieren und die auch dem Computer-Algorithmus dabei halfen, den richtigen Namen auszuwählen.
Ein präferierter Gesichtsausdruck könne auf Dauer nachweislich zu einer Veränderung der Physiognomie führen, berichtet der Experte der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. „Es lohnt sich tatsächlich, häufiger zu lächeln, auch wenn das nicht zum Stereotypen des Namens passt“, so der augenzwinkernde Ratschlag des Psychologen.
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