„Ein wichtiger Teil des Pandemieabkommens muss noch weiterverhandelt werden“
Berlin – In der Einigung der Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen Entwurf für ein internationales Pandemieabkommen sieht ein Experte für globale Gesundheitspolitik ein wichtiges Signal. Einige der strittigen Punkte seien aber noch nicht gelöst und würden gesondert weiterverhandelt, sagt der Jurist, zu dessen Schwerpunkten die WHO und deren Rolle in der Steuerung der Pandemievorsorge und -bekämpfung zählen. Es steht demnach noch ein längerer Weg bevor, bis das Abkommen in Kraft treten kann.

5 Fragen an Pedro Villarreal, Gastwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
Herr Villarreal, wie bewerten Sie die Einigung in Genf?
Es ist ein positives Ereignis, dass die Delegationen sich überhaupt auf einen Haupttext geeinigt haben. In Zeiten wie diesen sollte man diese politische Einigung nicht unterschätzen: Sie zeigt, dass der Multilateralismus wichtig bleibt.
Auch für die WHO ist es ein positives Signal, schließlich ist sie wegen des angekündigten Austritts der USA und auch von Argentinien in einer schwierigen Lage.
Manche der umstrittenen Debatten wurden allerdings vertagt, vielleicht nach dem Motto „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“. Ein wichtiger Teil des Pandemieabkommens muss noch in einem Anhang weiterverhandelt werden, voraussichtlich bis Mai 2026.
Der Entwurf des Haupttextes muss zunächst im Mai noch auf der Weltgesundheitsversammlung genehmigt werden. In Kraft treten kann das Abkommen dann erst, wenn auch der Anhang finalisiert ist und mindestens 60 Staaten es ratifiziert haben.
Manche Länder dürften dafür Jahre brauchen. Wie die anstehenden Debatten auf nationaler Ebene ablaufen werden, lässt sich kaum abschätzen.
Worum geht es bei den noch nicht geklärten Fragen?
Die umstrittensten Punkte waren immer, ob man einerseits eine Verpflichtung zum Teilen von Krankheitserregerproben und anderen Materialien einführt, die es bisher im Völkerrecht nicht gibt. Es wäre ein großer Schritt, wenn diese Verpflichtung formuliert werden würde. Die Details zu dem Thema sollen in einem Anhang zum Abkommen formuliert werden.
Andererseits wird es noch Gespräche geben, wie eine gerechte Verteilung von pandemiebezogenen Produkten unter Parteien des Abkommens durchgeführt werden könnte. Das war in den bisherigen Verhandlungen ein Anlass für Kontroversen, insbesondere für Länder des globalen Südens, die damit in der COVID-19-Pandemie nicht so zufrieden waren.
Hat das Abkommen dann vor allem symbolischen Wert oder gibt es konkrete Absprachen, die die Welt im Fall einer Pandemie voranbringen würden?
Es gibt im aktuellen Text konkrete Formulierungen, die den Staaten Vorteile bieten würden. Die Einigung auf einen One-Health-Ansatz bei der Pandemievorsorge und -bekämpfung beispielsweise kann die Herangehensweise grundsätzlich verändern: Bisher haben wir uns oft erst mit einem Erreger beschäftigt, wenn die Mensch-zu-Mensch-Übertragbarkeit bestätigt wird.
In der Regel ist das aber zu spät, um eine wirksame Pandemievorsorge zu gewährleisten. Dass stattdessen nun menschliche Gesundheit, Tiergesundheit und Umwelt zusammen gedacht werden sollen, ist ein Paradigmenwechsel. Das kann auch zu Veränderungen nationaler Pandemiepläne führen.
Außerdem wird im Entwurf die wichtige Rolle des Gesundheitspersonals bei der Pandemiebekämpfung hervorgehoben. Diese Dimension wurde vor der Pandemie völlig ignoriert, der Fokus lag vielmehr auf Produkten wie Impfstoffen. Jetzt wird betont, dass es zum Beispiel Pläne braucht, um die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen vor Überlastung zu schützen.
Zudem finde ich noch die Möglichkeit zum Technologietransfer zwischen Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens erwähnenswert. Es ist natürlich freiwillig. Aber hier geht es um Themen wie den Aufbau von regionalen Produktionskapazitäten.
Warum hat es mehr als drei Jahre bis zur Einigung auf einen Vertragstext gedauert? Lag das nur an den Meinungsverschiedenheiten zwischen Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens?
Drei Jahre sind eigentlich schnell im Vergleich zu anderen internationalen Verträgen – insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Verhandlungen noch während der Coronapandemie begonnen haben. Teils unterschiedliche Auffassungen gab es nicht nur zwischen Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens: In manchen Fragen waren sich auch die reicheren Länder untereinander nicht einig, etwa zur Rolle geistigen Eigentums.
Im globalen Süden gab es sowohl Länder, die den One-Health-Ansatz begrüßten, als auch solche mit der Befürchtung, dass dies ein Vorwand sein könnte, um Handelsbeschränkungen für landwirtschaftliche Produkte zu ihrem Nachteil umzusetzen. Da gab es eine größere Debatte. Es war oftmals wirklich schwierig, diese Verhandlungen zu führen.
Was bedeutet es für die Umsetzung des Abkommens, wenn sich ein Staat wie die USA aus der WHO verabschiedet?
Der Austritt der USA aus der WHO ist bedauerlich, es bedeutet erst einmal einen großen Verlust an Expertise. Aber es war schon seit Beginn der Verhandlungen über das Abkommen klar, dass die USA nicht in der Lage sein würden, es zu ratifizieren.
Denn im derzeit polarisierten Kongress wäre eine Mehrheit dafür unwahrscheinlich gewesen. Es ist aber grundsätzlich auch für Nicht-WHO-Mitglieder möglich, das Abkommen in Zukunft zu ratifizieren.
In vielen Ländern erscheint es aber möglich, dass die politischen Debatten über den Ratifizierungsprozess durch die vielen zum Thema kursierenden Falschinformationen beeinflusst werden. Auch eine ablehnende Haltung mancher Wählerinnen und Wähler gegenüber dem Vertrag aufgrund von Fake News kann die politische Entscheidung beeinflussen.
Dabei muss man klar sagen: Im Vertragstext wird sogar explizit festgehalten, dass keine der Bestimmungen so interpretiert werden dürfe, dass die WHO oder ihr Direktor durch das Abkommen weitreichende Befugnisse erhalten würden, um zum Beispiel Lockdowns in einzelnen Ländern zu verhängen oder Impfungen anzuordnen. Solche Auslegungen entbehren jeder Grundlage.
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