Entzündliche Prozesse und Endothel der Lunge für schwere Coronaverläufe verantwortlich

Berlin – Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 sorgt nicht die direkte Zerstörung von Zellen in der Lunge aufgrund der Vermehrung des Virus für einen schweren Verlauf von COVID-19. Vielmehr sind entzündliche Prozesse und das Endothel der Lunge daran entscheidend beteiligt, berichten Berliner Forscher im Fachmagazin Nature Communications (2021; DOI: 10.1038/s41467-021-25030-7).
COVID-19 wird bekanntlich unter anderem durch eine fehlgeleitete, mitunter überschießende Reaktion des körpereigenen Immunsystems verursacht. Um therapeutische Angriffspunkte zu finden, ist es notwendig, im Detail zu verstehen, wie und wo genau welche Prozesse im Körper bei der Infektion und der Entwicklung der Krankheit ablaufen. Dies ist aber methodisch sehr schwierig, weil Biomaterial gerade aus der frühen Phase der Infektion rar ist.
Die Forscher um Martin Witzenrath, stellvertretender Direktor der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, untersuchten für ihre Arbeit verfügbare Patientenproben. Gleichzeitig machten sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Modell – und wurden beim Hamster fündig.
„Wir wollten wissen, ob die Modelle zur Entwicklung neuer Therapieansätze herangezogen werden können und haben versucht, Erkenntnisse aus Proben von Patientinnen und Patienten darin wiederzufinden. Das hat erstaunlich gut funktioniert“, erläuterte Witzenrath.
Gemeinsam mit Forschern am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), Virologen und Tiermedizinern der Freien Universität sowie Datenexperten des Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité haben die Wissenschaftler die SARS-CoV-2-Infektion dann in Hamstermodellen genau charakterisiert und diese mit Datensätzen aus Proben von Patienten untermauert.
„Wir beobachteten, wie bestimmte Zellen des Immunsystems in der Lunge – die Monozyten und daraus entstehende Makrophagen – das Virus aufnehmen und sehr heftig reagieren. Sie senden Botenstoffe aus, die eine starke Entzündungsreaktion hervorrufen“, berichtet Geraldine Nouailles, Wissenschaftlerin an der medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité und Co-Erstautorin der Studie.
„In unserem Modell wird diese recht schnell wieder eingefangen, denn andere Immunzellen – die T-Zellen – schwärmen zu diesem Zweck aus. Bei schweren COVID-19-Verläufen geschieht das nicht“, so Nouailles weiter. Für eine erfolgreiche Genesung von COVID-19 sei also eine schnelle und effiziente T-Zell-Antwort zentral.
„Die Zerstörung des Lungengewebes bei schweren COVID-19-Verläufen wird nicht direkt durch die Vermehrung des Virus in den Zellen verursacht, sondern durch die starke Entzündungsreaktion“, erläuterte der MDC-Wissenschaftler Emanuel Wyler, ebenfalls Co-Erstautor.
Das gelte auch für die Endothelzellen in der Lunge. Sie reagieren laut den Forschern stark auf das Virus, werden aber nicht von ihm infiziert und gehen nicht zugrunde. Bei einem schweren Verlauf von COVID-19 führten aber verschlossene Blutgefäße und instabile Gefäßwände zu einem akuten Lungenversagen.
„Man könnte demnach auf zwei Arten therapeutisch an diesen für den Krankheitsverlauf zentralen Zellen angreifen. Zum einen mit Substanzen, die die Endothelbarriere abdichten. Zum anderen mit solchen, die das Endothel beruhigen“, folgert Witzenrath.
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