Gesundheit

Erkältung schützt (kurzfristig) vor Grippe und umgekehrt

  • Dienstag, 17. Dezember 2019

Als im Frühjahr 2009 in Nordamerika die Influenza A(H1N1)2009 („Schweinegrippe“) ausbrach, rechneten die Experten damit, dass die Viren innerhalb der nächsten Monate mit Flugreisenden Europa erreichen. Dies war im Herbst auch der Fall. In allen europäischen Ländern stiegen die Erkrankungszahlen. In Frankreich und Schweden setzte die Epidemie allerdings mit einigen Wochen Verzögerung ein. In beiden Ländern litten in dieser Zeit viele Menschen unter Erkältungen. Erst als sie sich davon erholt hatten, erkrankten sie an der Grippe.

Schon damals wurde vermutet, dass die Rhinoviren in den Atemwegen den Influenza-Viren den Weg verbaut hatten. Pablo Murcia von der Universität Glasgow vergleicht dies mit der Konkurrenz von Löwen und Hyänen in der afrikanischen Serengeti. Beide Tierarten gehen sich bei der Jagd aus dem Weg. Das gleiche könnte auch für Viren gelten, die sich auf die Epithelien der Atemwege stürzen.

Der Forscher hat hierzu Labordaten des National Health Service aus den Jahren 2004 bis 2013 ausgewertet. In dieser Zeit waren 44.230 Rachenabstriche von 36.157 Patienten auf elf Arten von Atemwegsviren getestet worden. Insgesamt 35 % der Proben fielen positiv aus, aber nur 8 % waren mit mehr als einem Virustyp koinfiziert.

Zwischen Influenza A-Viren und Rhinoviren entdeckten die Forscher eine auffällige Wechselwirkung. Wenn eins der beiden Viren sich ausbreitete, zog sich das andere zurück. Dies war sowohl auf der Bevölkerungsebene als auch auf den einzelnen Patienten nachweisbar. Patienten mit Influenza A hatten eine um 73 % geringere Wahrscheinlichkeit, auch mit einem Rhinovirus infiziert zu sein, als Patienten, die mit den anderen Virustypen infiziert waren.

Die negative Interaktion ist laut Murcia weniger darauf zurückzuführen, dass die Grippeviren alle Epithelzellen zerstört haben und für die Rhinoviren keine Angriffspunkte mehr vorhanden waren. Seine Berechnungen zeigen, dass es nach einer Influenza-Infektion zu einer „refraktären“ Periode kommt, in der die Atemwege nicht von anderen Viren infiziert werden können. Diese Verzögerung lässt sich am ehesten mit einer Reaktion des unspezifischen Immunsystems erklären, das durch die Bildung von Interferonen kurzfristig einen Infektionsschutz aufbaut. Insofern ist das Bild mit den Löwen und Hyänen nicht ganz passend.

Die Erkenntnisse könnten am ehesten für die Vorhersage von Epidemien genutzt werden. Nach den Erfahrungen von 2009 würde eine prophylaktische Infektion mit Rhinoviren wohl nur einen vorübergehenden Schutz bietet.

Die Medizin kennt übrigens auch positive Interaktionen. Am bekanntesten ist das erhöhte Risiko auf Pneumokokken-Infektionen im Anschluss an eine Grippe. Hier eröffnet die Zerstörung der Epithelien den Bakterien die Möglichkeit, tiefer liegende Strukturen anzugreifen. Die anschließende Pneumonie ist für die meisten Todesfälle von Grippe-Patienten verantwortlich.

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