Erste S3-Leitlinie zum Kaiserschnitt soll Entscheidung für Geburtsmodus erleichtern

Berlin − Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat heute die erste S3-Leitlinie zur Sectio caesarea vorgelegt. Sie soll für mehr Klarheit sorgen, wann einer Schwangeren zu einem Kaiserschnitt geraten werden soll und wann nicht.
„Die evidenzbasierte Leitlinie zum Kaiserschnitt gibt allen Beteiligten die Möglichkeit, auf der Basis des aktuellen Wissens die beste Entscheidung zu fällen“, sagte Frank Louwen, Koordinator der Leitlinie.
Das betreffe auch die Beratung, den sichersten Zeitpunkt zur Geburt, die optimale Durchführung, den frühestmöglichen direkten Hautkontakt von Mutter und Kind. Und die Leitlinie setze sich mit den häufigsten Gründen für einen geplanten Kaiserschnitt und möglichen Alternativen auseinander.
Die Kaiserschnittrate ist in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren stark gestiegen. Während laut Statistischem Bundesamt 1991 noch 15,3 Prozent der Entbindungen per Kaiserschnitt erfolgten, waren es 2018 mit 29,1 Prozent fast doppelt so viele. Das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) kommt für 2018 auf 30,66 Prozent.
Da die stetig steigende Sectiorate in Deutschland nicht mit einer Verbesserung des kindlichen Outcomes assoziiert ist, befürworten viele Experten aus dem Bereich Geburtshilfe eine Senkung der Kaiserschnittrate.
„Die Sectiorate in Deutschland ist unnötig hoch und führt zu kurz- und langfristigen gesundheitlichen Nachteilen für Mütter und Kinder“, sagte Patricia Van de Vondel, Chefärztin der Frauenklinik am Krankenhaus Porz am Rhein, Köln. In Skandinavien liegt die Sectiorate unter 20 Prozent und das Ergebnis für Mutter und Kind ist dort besser als in Ländern mit deutlich höheren Sectioraten.“
Die Vorgabe einer spezifischen Sectiorate sei nicht Bestandteil dieser Leitlinie, schreiben die Autoren. Aufgrund fehlender Daten zur mütterlichen und kindlichen Morbidität sei derzeit keine zuverlässige Aussage über eine optimale Rate möglich. Die von der WHO im Jahr 1985 formulierte Grenze von 10 bis 15 Prozent wurde in einem WHO-Statement im Jahr 2015 aus eben diesem Grund relativiert.
Nur zehn Prozent der Kaiserschnitte medizinisch notwendig
Nur zehn Prozent aller Kaiserschnitte in Deutschland sind zwingend notwendig, um das Leben von Mutter oder Kind zu retten. Absolute Indikationen sind etwa eine Querlage des Kindes, ein (drohender) Gebärmutterriss oder eine Unterversorgung des Kindes mit Sauerstoff (fetale Azidose).
Die häufigsten medizinischen Gründe für einen Kaiserschnitt in Deutschland zählen zu den relativen Indikationen (medizinisch nicht zwingend notwendig), etwa ein vorheriger Kaiserschnitt, auffällige Herztöne des Kindes oder eine protrahierte Geburt.
Die Autoren der neuen S3-Leitlinie stellen den aktuellen Stand des Wissens zur Sectio caesarea zusammen und formulieren Handlungsempfehlungen für die Beratung und Behandlung der Schwangeren. Diese sind teils sehr vorsichtig formuliert, denn die Datenlage ist mitunter schwierig.
Ein gutes Beispiel ist die Beckenendlage, hier lautet die Leitlinienempfehlung: „Bei Beckenendlage sollte unabhängig von Parität oder Z. n. Sectio der Patientin frühzeitig eine Beratung zum Geburtsmodus in einem mit beiden Modi erfahrenen Zentrum angeboten werden.“
Bei einer Beckenendlage am Termin soll den Schwangeren mitgeteilt werden, dass „derzeit kein Geburtsmodus für die Kinder präferiert werden kann“, die vaginale Beckenendlagengeburt aber eine Alternative mit niedrigerer mütterlicher Morbidität darstelle.
„Es ist in der Leitlinie gut gelungen, die existierende Evidenz zusammenzutragen und weiteren Forschungsbedarf zu ermitteln“, so Van de Vondel. „Sie stellt übersichtlich dar, welche Evidenz – oder eben keine Evidenz – es für manch ‚klassische‘ Sectio-Indikation gibt, wie zum Beispiel bei einer Beckenendlage des Feten oder Infektion der Mutter“.
Hohe Sectiorate auch durch nicht-medizinische Faktoren begünstigt
Die Kölner Geburtshelferin sieht die Ursachen für die hohe Sectiorate allerdings nicht nur im medizinischen Bereich: Auch die mangelnde Ausbildung und Organisation, dazu zählten auch Vergütung und Personalschlüssel, sowie der juristische Druck spielten eine Rolle. Sie geht davon aus, dass es „in den bestehenden Strukturen (…) nicht gelingen wird, die Sectiorate zu senken“.
Derzeit sind die Kaiserschnittraten der insgesamt 686 Geburtskliniken in Deutschland extrem unterschiedlich, sie reichen von 10,4 bis 66,7 Prozent. Die Leitlinie empfiehlt die systematische Einführung des Robson-Score, der es ermöglichen soll, verschiedene Geburtskliniken in ihrem Sectioverhalten miteinander zu vergleichen. Er wird auch von der WHO empfohlen, in Deutschland aber bisher nur teilweise angewendet.
Er sieht eine Unterteilung der Schwangeren in zehn Gruppen vor, die sich nach der geburtshilflichen Ausgangssituation richtet. Kriterien für die Einstufung sind unter anderem vorausgegangene Geburten (mit oder ohne Kaiserschnitt), die Schädellage des Kindes, die Schwangerschaftswoche und ob die Wehen spontan begonnen haben.
Robson-Score soll internationale Vergleiche ermöglichen
Die Klassifikation nach Robson soll den Leitlinienautoren zufolge dazu führen, dass „Vergleiche sowohl national als auch international möglich werden“. Aus dänischer Perspektive etwa, berichtet Katrin Löser, Leitende Oberärztin der Geburtshilfe am Krankenhaus Südjütland, Dänemark, sei „die deutsche Kaiserschnittrate eine sehr hohe Rate“.
Dänemark weist, wie Skandinavien insgesamt, einen Trend zu weniger Kaiserschnitten auf und liegt zurzeit national bei circa 23 Prozent. Einzelne Krankenhäuser liegen jedoch auch seit Jahren stabil bei Raten um und unter 15 Prozent – „ohne dabei die Gesundheit von Mutter oder Kind zu kompromittieren“, so Löser. Die Überwachung von Qualitätsindikatoren zum Vergleich der Krankenhäuser und zur Qualitätssicherung hat in Dänemark Tradition und ist zentraler Bestandteil der sicheren Geburtshilfe.
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