Erstklässler fitter als gedacht

München – Übergewicht bei Kindern wird oft auf zu wenig Bewegung zurückgeführt. Zumindest im Raum Baden-Baden konnten Forscher der Technischen Universität München (TUM) Erstklässlern jedoch in den letzten zehn Jahren keine Einbußen bei der sportmotorischen Leistungsfähigkeit nachweisen. Mit ihrer Studie belegen sie, dass die Schüler ihre Kraft beibehielten, während Schnelligkeit und Gleichgewichtsfähigkeit sogar zunahmen. Lediglich bei der Ausdauer verschlechterte sich die Leistung, allerdings auch nur bei den Jungen. Die Ergebnisse wurden in Frontiers of Pediatrics veröffentlicht (2017; doi: 10.3389/fped.2017.00206).
„Entgegen des meist negativen Tenors bisheriger Studien konnten wir nachweisen, dass sich bei Erstklässlern mit Blick auf die sportmotorische Leistungsfähigkeit in den vergangenen 10 Jahren in Summe keine Verschlechterung ergeben hat“, erklärt Filip Mess, Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik an der TU München. Bisherige Studien seien deshalb zu hinterfragen.
Mess und seine Mitarbeiterin Sarah Spengler analysierten einen Datensatz von Fitnesstests mit etwa 5.000 Erstklässlern. In den Jahren 2006 bis 2015 wurden im Raum Baden-Baden jährlich rund 500 Erstklässler untersucht. Sämtliche der 18 Grundschulen der Region beteiligten sich an dem Projekt, das durch die Sportstiftung Kurt Henn gefördert wurde. Untersucht wurden neben der Ausdauerleistung (6-Minuten-Lauf) die Kraft (Liegestütze), die Schnelligkeit (20-Meter-Sprint) und die Gleichgewichtsfähigkeit (Balanceübung).
„Bei diesen 4 Tests zeigte sich eine nachweisbare Verschlechterung lediglich bei der Ausdauerleistung von Jungen. Bei Mädchen blieb diese dagegen konstant. Die Schnelligkeit und die Gleichgewichtsfähigkeit sind bei beiden Geschlechtern sogar besser geworden“, resümiert Spengler.
Im Vergleich zu bisherigen Forschungsprojekten weist das Studiendesign eine besondere Qualität auf: „Die Untersuchungen wurden in jedem der 10 Jahre durchgeführt, während bisherige Projekte zumeist nur 2 Messzeitpunkte verwendeten, die dann beispielsweise im Abstand von 10 Jahren liegen. Das Problem ist, dass ein solches Forschungsdesign anfällig für Verzerrungen ist“, erläutert Mess. So könnte beispielsweise in einem Jahr eine eher unsportliche Klasse untersucht werden und im nächsten eine recht sportliche – das Ergebnis würde zu Unrecht pauschalisiert.
Die zweite Besonderheit sei die Tatsache, dass sämtliche der 18 Grundschulen in der Region sich an der Studie beteiligten. Verzerrungen durch einen zu großen Anteil städtischer oder regionaler Teilnehmer entfallen somit. „Für die Region Baden-Baden sind die Daten repräsentativ“, sagt Mess.
Wohlhabende Region lässt sich nicht auf Deutschland übertragen
Allerdings bedeutet die regionale Auswahl auch eine Einschränkung der Ergebnisse. „Die Untersuchung hat mit Blick auf die Langzeitschlüsse sicherlich eine höhere Aussagekraft als die bisherigen Forschungen. Allerdings lassen sich die Daten nicht ohne Weiteres auf ganz Deutschland übertragen. Denn die eher wohlhabende und ländliche Region Baden-Baden unterscheidet sich möglicherweise von anderen Regionen Deutschlands“, sagt der Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik.
Für Mess sollten die Ergebnisse daher ein Anstoß sein, um für künftige Aussagen über langfristige Entwicklungen der motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern ähnliche Forschungsdesigns zu verwenden. So sollen beispielsweise in Hessen sportmotorische Untersuchungen für jeden Grundschüler eingeführt werden.
Spengler betont: „Wir konnten zeigen, dass sich bei den 4 Tests lediglich die Jungs in Bezug auf die Ausdauerleistung signifikant verschlechtert haben. Trotzdem darf dies kein Anlass für Schulterklopfen sein. Denn die Daten sagen nicht aus, dass die Leistungen der Kinder auch tatsächlich gut sind. Sie sind nur nicht schlechter geworden.“ Gerade in Bezug auf Bewegung bestünden weiterhin große Herausforderungen, sagt Spengler. Damit aus Kindern gesunde Erwachsene werden.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: