„Es kann nicht sein, dass wir 20 Jahre nach dem ersten Digitalgesetz immer noch Faxe schicken"

Berlin – Auch 16 Jahre nach dem Ende im Bundesgesundheitsministerium (BMG) zeigte sich Ulla Schmidt (SPD) weiter gut informiert über die Debattenlage im Gesundheitswesen.
„Wenn es im Gesundheitswesen nur ein Problem gebe, dann wäre es ja einfach. Die Menschen sind aber seit Corona offener für Reformen“, betonte die ehemalige Ministerin auf der Digitalmesse DMEA gestern in Berlin.
Besonders bei der Digitalisierung mahnt sie nun endlich Reformen an. „Es kann nicht sein, dass bis heute in Krankenhäusern die eine Station nicht weiß, welche Untersuchungen die andere schon gemacht hat.“
Aus ihrer Sicht hätte die Digitalisierung im Gesundheitswesen viel früher fortgesetzt werden müssen. „Es kann nicht sein, dass wir 20 Jahre nach unserem ersten Digitalgesetz immer noch Faxe zwischen den Stationen benutzen müssen.“
Schmidt hatte mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz im Jahr 2004 unter anderem die elektronische Karte (eGCard) eingeführt, die jeder gesetzlich Versicherte 2006 haben sollte.
Der Wunsch nach Digitalisierung sei in dem Gesetz eindeutig angelegt gewesen, ebenso wie eine Überwindung der Sektorengrenzen. „Aber das Gesundheitswesen scheut die Transparenz wie der Teufel das Weihwasser“, betonte Schmidt mit Blick auf die damaligen wie heutigen Debatten.
Zudem sei sie im Rückblick immer wieder überrascht, wenn Politik ankündige, im Gesundheitswesen etwas „schnell“ umsetzen zu wollen und der Widerstand dann immer ebenso schnell groß werde. „Das war jetzt auch bei der aktuellen Debatte zum Roll-out bei der elektronischen Patientenakte (ePA), wo Karl Lauterbach dazu aufgerufen wurde, nun nicht zu schnell zu agieren. Nach 20 Jahren!“
In vielen Fragen von Transparenz aber auch Digitalisierung seien die Menschen schon zu ihrer Amtszeit deutlich weiter gewesen als viele Interessenvertreter. Weiterhin beobachtet sie das Gesundheitswesen als ein „hochinnovativer Bereich, vielleicht der hochinnovativste Bereich aller Branchen mit sehr sehr vielen sehr engagierten Menschen.“
Im Rahmen des Gesetzes wurde 2005 auch die Gematik gegründet. Allerdings hatte die Organisation unter der damaligen Führung nicht das umsetzen können, was politisch gewollt war: „Der Streit der Sektoren im Gesundheitswesen wurde unter deren Dach fortgeführt“, so Schmidt. Das hätten viele an der Spitze der Gematik sehr verärgert. „Insgesamt hatte ich mir mehr von der Gematik erhofft.“
Aus ihrer Sicht hat es in den vergangenen 15 Jahren „viel Stillstand“ bei der Digitalisierung gegeben. „Jetzt ist es mit Karl Lauterbach endlich weitergegangen“, so Schmidts Einschätzung. Lauterbach war als ihr Berater damals an der Einführung mit beteiligt.
In die damaligen Entscheidungen im BMG war auch Franz Knieps als Abteilungsleiter „Gesundheitsversorgung, Gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung“ involviert. Im Ministerium war er von 2003 bis 2009. Bis bis Mai diesen Jahres ist er Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes.
Auch er blickte auf einem Podium auf der DMEA zurück auf diese Zeit: Man habe seitens des Ministeriums die gesetzlichen Vorgaben immer wieder nachschärfen müssen. Doch: „In der Zeit nach uns im Ministerium haben die dann Verantwortlichen gesagt, es reicht und haben selbst die inhaltliche Gestaltung übernommen“, so Knieps weiter.
Damit spielte er auf die Übernahme von 51 Prozent der Stimmanteile in der Gesellschafterversammlung der Gematik durch das BMG an. „Und ich gebe heute zu: Die Krankenkassen hatten dann wesentlich Schuld daran, dass es soweit gekommen ist.“
Der heutige Vorsitzende der Geschäftsführung, Florian Fuhrmann, findet dieses Konstrukt der Gematik vor: Seit 2019 hat das BMG 51 Prozent der Gesellschafterrechte – eine Regelung, die der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit dem Terminservicegesetz unter Protest der bisherigen Gematik-Gesellschafter durch setzte.
„Bei der ersten Digitalisierungswelle im Gesundheitswesen vor etwa 30 Jahren waren wir mit den Praxen, Krankenhäusern und Apotheken sehr sehr früh. Wir haben die Effizienzen daraus auch recht gut genutzt. Es haben sich aber daraus auch recht früh Abhängigkeiten und Strukturen entwickelt, die bis heute Bestand haben“, sagte Fuhrmann in einer Debatte mit Knieps.
Es gebe „einen sehr fragmentierten Markt auf der einen Seite und ein Oligopol auf der anderen Seite“. „Wenn wir heute Projekte wie ePA oder so umsetzen wollen, dann kommen wir mit unserer heutigen Regulatorik an die Grenzen“, so Fuhrmann.
Daher warb er auch auf dem Podium der DMEA dafür, die Chancen der Digitalisierung jetzt ernst zu nehmen und die Vorschläge aus dem Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG), das wegen des Endes der Ampelregierung nicht mehr umgesetzt werden konnte, nun noch einmal aufzurufen. Aus seiner Sicht brauche es zwar nicht strenge Gesetze, aber dafür enge Spezifikationen, die die Gematik den Herstellern von Softwareprodukten vorschreibe.
Große Veränderungen im Gesundheitssystem erwartet Knieps nur aus dem Grund, dass nun die Geldtöpfe leer seien. „Zehn Jahre warmer Geldregen hat zu keiner Veränderungsbereitschaft geführt“, bilanzierte Knieps das vergangene Jahrzehnt. „Ohne Druck gibt es keine Veränderungen, dann werden nur die Ausreden A1 bis A 100 gesucht“, betonte er.
Auf ein Digitalministerium – das wenige Stunden nach dem Podium auf der DMEA dann im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigt wurde – blicken beide skeptisch. „Für die produktive Arbeit ist so ein Ministerium nicht gut“, so die Einschätzung von Knieps. Auch Fuhrmann sieht eher, „dass wir Zeit verlieren.“ Denn: „Jetzt sind wir in einem guten Flow und ich befürchte, mit einem neuen Digitalministerium wird es langsamer.“
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