Ethikräte fordern Berücksichtigung ethischer Aspekte bei Diskussionen um Keimbahneingriffe

Berlin – Die nationalen Ethikräte Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens rufen Regierungen und Interessenvertreter in der ganzen Welt gemeinsam dazu auf, bei jeglicher künftigen Diskussion von Keimbahneingriffen und bei der Entwicklung globaler Regulierungsansätze ethische Überlegungen in den Mittelpunkt zu stellen.
In einer gemeinsamen Erklärung, die heute in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, warnen sie vor Entwicklungen und Techniken, die eine gezielte Veränderung von DNA-Sequenzen in lebenden Zellen erlauben und theoretisch in der Fortpflanzungsmedizin dazu eingesetzt werden könnten, die DNA in menschlichen Spermien oder Eizellen, in deren Vorläuferzellen oder in frühen menschlichen Embryonen vor dem Transfer in die Gebärmutter zu verändern, um die Eigenschaften einer künftigen Person zu beeinflussen („erbliches Genome-Editing“, „Keimbahneingriff“).
Sicherheitsbedenken könnten nachlassen
Zwar würden die aktuell verfügbaren Methoden noch nicht sicher genug für eine klinische Anwendung gelten und ihr vorzeitiger Einsatz in China würde weithin als ethisch unakzeptabel verurteilt. Doch Sicherheitsbedenken könnten nachlassen, falls es in Zukunft gelingen sollte, die derzeitigen Einschränkungen und Risiken durch Weiterentwicklung der Techniken ausreichend zu reduzieren, meinen die Ethiker.
„Wir alle halten es für wesentlich, dass eine ethisch zulässige Anwendung von Keimbahneingriffen beim Menschen nicht zu verstärkten Benachteiligungen, Diskriminierungen oder Spaltungen in der Gesellschaft führen darf", betonen die drei Ethikräte.
Wissenschaftler hätten bereits angekündigt, weitere klinische Versuche zum erblichen Genome-Editing durchzuführen, falls eine ethische und behördliche Überprüfung dies zulasse. Kommissionen würden bereits damit beginnen, Governance-Standards für mögliche zukünftige Anwendungen erblicher Veränderungen des menschlichen Genoms zu entwickeln.
In Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind Keimbahneingriffe gesetzlich verboten. In anderen Rechtsordnungen seien die Regeln hingegen teilweise unklar oder fehlten gänzlich.
Deshalb appellieren die Ethikräte an die Weltgemeinschaft, dass künftige Beratungen zu erblichen Genomveränderungen beim Menschen eine stärkere Konzentration auf grundlegende ethische Fragen und Prinzipien erfordern. Man müsse sicherzustellen, dass der globale Diskurs und die Regulierung auf soliden ethischen Grundlagen erfolge.
Insbesondere fordern sie die Berücksichtigung der folgenden Punkte:
Erbliches Genome-Editing muss der Kontrolle der zuständigen öffentlichen Behörden unterliegen und Missbrauch mit angemessenen Sanktionen belegt werden.
Es sollten keine klinischen Versuche zum Einsatz von Keimbahneingriffen durchgeführt werden, bevor nicht eine breite gesellschaftliche Debatte über die Vertretbarkeit der betreffenden Interventionen stattgefunden hat.
Es sollten keine weiteren klinischen Versuche zum Einsatz von Keimbahneingriffen durchgeführt werden, solange die Forschung die beträchtliche Unsicherheit zu den Risiken klinischer Anwendungen noch nicht auf ein akzeptables Niveau reduziert hat.
Bevor klinische Studien zu oder Anwendungen von Keimbahneingriffen zugelassen werden, müssen die Risiken nachteiliger Auswirkungen für Einzelpersonen, Gruppen und die Gesellschaft als Ganzes angemessen bewertet worden sein, und es müssen Maßnahmen zur Überwachung und Überprüfung dieser Risiken vorhanden sein.
Die Ethikräte halten die menschliche Keimbahn nicht für kategorisch unantastbar. Sie unterscheiden sich jedoch in den Spielräumen, in denen sie eine solche Zulässigkeit für möglich halten.
Der Deutsche Ethikrat hatte beispielsweise im vergangenen Jahr ein Anwendungsmoratorium für mögliche Eingriffe in die menschliche Keimbahn verlangt, aber keine Absage an Forschung in diesem Bereich erteilt.
Eingriffe in das Erbgut des Menschen seien derzeit wegen ihrer unabsehbaren Risiken ethisch unverantwortlich. Das Gremium hielt aber in seiner Mehrheit die menschliche Keimbahn nicht grundsätzlich für „unantastbar“.
Die große Bandbreite der denkbaren Anwendungen und die damit verbundenen Chancen, Risiken und ethischen und gesellschaftlichen Herausforderungen erforderten Bewertungsverfahren, die mit dieser Komplexität angemessen, betonen jetzt die drei Räte in ihrer Erklärung.
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