Politik

Ethische Fragen werden bei der Digitalisierung wichtiger

  • Mittwoch, 24. Januar 2018
/Thomas Andreas, stockadobecom
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Berlin – Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll einen herausragenden Teil der Koalitionsverhandlungen ausmachen, die bis Aschermittwoch abgeschlossen sein sollen. Das hat Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), gestern beim BMC-Kongress „Managed Care im digitalen Zeitalter“, in Berlin betont. „Das, was in der letzten Legislaturperiode begonnen worden ist, muss fortgesetzt werden.“ Die Digitalisierung sei eine Voraussetzung für Innovationen und für eine bessere Gesundheitsversorgung.

Mit der Digitalisierung entstehe eine gewaltige Menge verschiedener Daten, die klug verknüpft werden müssen, um ein ganzheitliches Bild des Menschen und seines Gesund­heitszustandes zu gewinnen und auch um Gesundheitsforschung zu betreiben, meinte Stroppe. Damit verbunden seien viele ethische Fragen, denn gerade im Bereich Gesundheit müsse nicht alles, was machbar erscheine, zum Nutzen für den Menschen beitragen.

Elektronische Akte für Patientensouveränität

Der Nutzen der Digitalisierung ergibt sich Stroppe zufolge auf zwei Ebenen: Die eine Ebene umfasst die Gesundheitsversorgung. Beispiele sind etwa telemedizi­nische Anwendungen, der Notfalldatensatz auf der elektronischen Gesundheitskarte und die Bereitstellung von Daten für eine ganzheitliche Behandlung über Sektoren­grenzen hinweg. „Dies wird durch die Telematikinfrastruktur überhaupt erst ermög­licht“, meinte Stroppe. „Wir werden als nächstes noch die Pflege und den Rehabereich mit ein­beziehen.“ Zudem spiele die elektronische Patientenakte für die Patienten­souveränität und für die sektorenübergreifende Behandlung eine besondere Rolle.

Die zweite Ebene betrifft die medizinische Forschung und die Versorgungsforschung: Hier ermögliche die Digitalisierung die Nutzung und Vernetzung großer Datenmengen, um neue Diagnosen und Therapien zu ermöglichen und Forschung, Versorgungsfor­schung und Qualitätsentwicklung voranzutreiben – nicht nur mit Blick auf Deutsch­land, sondern auch darüber hinaus. Ein Beispiel sei die vernetzte Forschung zu seltenen Erkrankungen innerhalb Europas.

Selbstbestimmung und Solidarität

Gleichzeitig seien damit Fragen der Selbstbestimmung und Solidarität angesprochen, so Stroppe. So müsse die Rechts- und Solidargemeinschaft Stellung dazu nehmen, welche Daten in welcher Form zur Verfügung gestellt werden sollen. Daher habe sich das BMG dazu entschlossen, vier Projekte zu ethischen Aspekten der Digitalisierung zu fördern, die innerhalb von zwei Jahren Ergebnisse vorlegen sollen.

Auch die Stellung­nahme des Deutschen Ethikrates zu Big Data im Gesundheitswesen vom 30. November 2017 werde hierbei mit einbezogen. Kernpunkt aus Sicht des BMG: Der Ethikrat empfiehlt ein gestaltendes Eingreifen, um die Möglichkeiten von Big Data besser zu nutzen. „Im Mittelpunkt steht hier die Forderung des Ethikrates nach einer Daten­souveränität des Einzelnen.“

Weitere Themen aus Sicht des BMG sind unter anderem der Umgang mit mobilen Applikationen und die Frage, wie nutzbringende Health-Apps im Gesundheitswesen gefördert und eingesetzt werden können. Darüber hinaus wird eine weitere Förder­phase des Innovationsfonds vorbereitet, die insbesondere auch auf sozialträger­übergreifende Projekte, etwa aus der Rehabilitation, abzielt.

Digitalisierung im Gesundheitswesen dürfe nicht zu dem Irrglauben führen, dass Pflegende ersetzbar sind, betonte Irene Maier, Vizepräsidentin des Deutschen Pflege­rates, in einer Podiumsdiskussion am Ende des ersten Kongresstages. Die mögliche Zeitersparnis dürfe nicht durch mehr Dokumentation aufgesogen werden, vielmehr müsse das Geld, das dadurch frei werde, für weitere Fachkräfte eingesetzt werden.

Die Politik müsse zudem die Rahmenbedingungen für die Pflege vor allem durch eine deutlich bessere Ausstattung in den Häusern sowie durch Qualifizierungs- und Bildungsprogramme verbessern. Hierfür sei ein Betrag von einer Milliarde Euro nötig. Derzeit gebe es keine Strategie für die Digitalisierung in den Häusern, die Mitarbeiter würden nicht mitgenommen. „Die Pflegenden haben kein Vertrauen in die Entwick­lung“, kritisierte Maier.

Digitales Entwicklungsland

„Deutschland ist ein digitales Entwicklungsland“, erklärte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. „Das liegt teilweise auch an uns“, meinte er. „Die Selbstverwaltung hat sich bisher nicht mit Ruhm bekleckert.“ Allerdings seien Abschläge im Budget kein Mittel, um die Entwicklungen zu befördern. Weitere hemmende Faktoren seien die mangelnde bundesweite Glasfaserabdeckung und das langsame Internet, die schlechte Usability der Softwareprogramme und die fehlende Interoperabilität der Systeme. Aus seiner Sicht sind klare Standards, egal ob vom Staat oder von der Selbstverwaltung, notwendig, um Insellösungen und Medienbrüche zu vermeiden.

Die Angst vor Substitution durch Digitalisierung, die bei vielen Ärzten vorherrsche und die auch von manchen Organisationen bewusst geschürt werde, teile er nicht, betonte der Radiologe. Seiner Erfahrung nach seien IT-Systeme etwa zur medizinischen Bild­verarbeitung und -analyse „ungemein“ hilfreich, um die Arbeit besser zu machen. „Wir müssen sie so steuern, dass wir als Ärzte damit umgehen können.“ Sein Appell: „Wir müssen die Angst vor Digitalisierung aufgeben und versuchen zu gestalten, statt immer nur dagegen zu halten.“  

Ärzte als Medizinmanager

Zustimmung erhielt er von Stephan Holzinger, dem Vorstandsvorsitzenden der Rhön Klinikum AG. Die meisten Krankenhäuser hätten noch nicht einmal ein funktionie­ren­des WLAN. „Wenn wir Digitalisierung vorantreiben wollen, werden wir die Patienten und auch die Mitarbeiter mitnehmen müssen“, sagte er. So wolle kein Mitarbeiter fünf Minuten warten, bis ein Röntgenbild auf dem Monitor verfügbar sei.

Holzinger verwies auf die Einführung eines Medical Cockpit im April bei Rhön, das es mit KI-basierter Technolo­gie ermögliche, Dutzende von Patientenakten mit OP-Berichten, Rezepten, Arztbriefen zu scannen und dem behandelnden Arzt in wenigen Sekunden einen Überblick etwa über die Diagnosenhistorie zu verschaffen. Das erhöhe die Schnelligkeit und Sicherheit bei komplexen medizinischen Fragen. Es verändere zudem den Beruf des Arztes hin zum Medizinmanager. Letztlich sei aber immer ein Endverantwortlicher erforderlich.

Problematische Strukturen

Die heutigen Strukturen der Selbstverwaltung seien insgesamt nicht geeignet, um mit der Dynamik und Komplexität der Digitalisierung fertig zu werden, so der Rhön-Chef. Ein ganzheitlicher Ansatz fehle derzeit auch im Sondierungspapier.

Bei den Krankenkassen sind viele Prozesse zwar bereits seit Jahren digitalisiert, aber zugleich sehr proprietär. Das konstatierte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Ein Beispiel dafür sei das Entlassmanagement. Hierfür müsse der Patient seine schriftliche Einwilligung im Krankenhaus erteilen. Das papierbasierte Dokument werde an die Krankenkasse übermittelt, die jedoch nicht über ein Format für die Annahme verfüge.

„Es gibt viele tolle Ideen, aber gleichzeitig stecken wir alle in rudimentären, historisch überlieferten Prozessen, weil wir Menschen sind“, erklärte Litsch. Kranken­versicherungen müssten schon wegen der Vielfalt der Versicherten, von denen nicht alle Digital Natives seien, eine breite Spanne von digitalen und nicht digitalen Prozessen integrieren. Leitgedanke bei der Digitalisierung müsse es sein, den Patienten ins Zentrum zu stellen. Die Politik müsse dafür die Rahmenbedingungen schaffen, nicht die Interessenvertreter selbst.

KBr

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