Europaparlament will freie Arztwahl im Ausland ermöglichen
Straßburg – Monatelanges Warten auf eine neue Hüfte, eine Kernspintomographie oder einen Bestrahlungstermin sind heute in einigen EU-Staaten gang und gäbe. Und wer dem mit einer Behandlung in einem anderen Mitgliedsland entgehen will, muss bisher umständliche Behördengänge oder gar Prozesse auf sich nehmen. Das soll nun anders werden. Darauf zielt zumindest eine neue Richtlinie ab, die morgen im Europaparlament die letzte Hürde nehmen soll. Sie verankert das Recht der Patienten auf eine Behandlung in einem anderen EU-Land.
Die EU-Volksvertretung will in Straßburg einen Kompromiss absegnen, den ihre Unterhändler bereits mit den Vertretern der 27 Mitgliedsländer ausgehandelt haben. Eine breite Zustimmung gilt daher als sicher. Brüssel zieht mit der Richtlinie die Konsequenz aus mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Die EU-Staaten haben bis Ende 2012 Zeit, um die Richtlinie in nationales Rechts umzusetzen.
Grundsätzlich sollen EU-Bürger künftig innerhalb der Europäischen Union freie Arzt- und Krankenhauswahl erhalten. Erstattet werden die Kosten nach den Sätzen im Heimatland. Die Kassen können bestimmte Behandlungen somit ablehnen, wenn sie im eigenen Land nicht erstattet werden – etwa eine Präimplantationsdiagnostik.
Für die Bürger sei dies ein „großer Mehrwert", betont die SPD-Verbraucherschutzexpertin Dagmar Roth-Behrendt. Bisher gebe es in der EU Freizügigkeit für Kapital, Dienstleistungen, Studenten, Arbeitnehmer – „nur nicht für Patienten".
Endlich würden grenzüberschreitende Patientenrechte verbindlich festgeschrieben, die bisher oft erst nach langen Gerichtsverfahren gewährt worden seien, sagt auch der CDU-Gesundheitsexperte Peter Liese.
Die EU-Abgeordneten räumen freilich ein, dass die Neuordnung in einigen Punkten hinter ihren Erwartungen zurückbleibt. So haben im Rat mehrere EU-Staaten darauf bestanden, dass stationäre Aufenthalte oder besonders kostspielige Behandlungen vorab von den Kassen im Heimatland bewilligt werden müssen.
Sie können dies ablehnen, allerdings müssen sie dies ausführlich begründen. Ein Grund für die Ablehnung könnte beispielsweise sein, wenn ein massiver Abzug von Patienten das heimische Gesundheitssystem aushöhlen und damit dessen „Planungssicherheit" gefährden würde, erläuterte Roth-Behrendt.
Auf taube Ohren stießen die Vertreter des Europaparlaments auch mit ihrem Wunsch, die Krankenkassen zu einem Gutschein-System für Behandlungen im Ausland zu verpflichten. Dem Kompromiss zufolge bleibt es nun den einzelnen Ländern überlassen, ob sie ein solches System einführen oder nicht. Tun sie das nicht, müssen Patienten auch für vorab bewilligte Behandlungen in Vorkasse treten und anschließend zu Hause eine Rückerstattung der Kosten beantragen.
Auf diese Regelung bestanden einige EU-Staaten – offenbar aus Angst vor einer Abwanderung vieler Patienten. Dies gelte vor allem für Spanien, Großbritannien und die Mitgliedsländer in Mittel- und Osteuropa, wo es oft lange Wartezeiten gebe, erläutert Liese.
Für Deutschland bringe die Neuregelung „keine Revolution", weil die Krankenkassen bereits auf die Urteile des EuGH reagiert hätten und Arztkosten im Ausland im Regelfall erstatteten. Die Deutschen bekämen nun aber mehr Rechtssicherheit. So müssten ihre Kassen künftig Folgekosten etwa nach einer Zahnbehandlung im Ausland übernehmen.
Die Neuregelung verpflichtet die EU-Staaten zudem, Infostellen einzurichten, bei denen Bürger Auskunft über Finanzierung, Qualität und Haftung für Behandlungen im Ausland einholen können.
Einen positiven Nebeneffekt erwarten die deutschen Abgeordneten auch für das deutsche Gesundheitssystem mit seinem guten Ruf im Ausland. Schon jetzt ließen sich reiche Privatpatienten in deutschen Kliniken behandeln, sagt Liese. „In Zukunft könnten viele andere kommen, was bei uns Arbeitsplätze sichern würde."
Längerfristig werde der stärkere Konkurrenzkampf die ärztliche Versorgung EU-weit verbessern. „Und davon profitieren dann alle."
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