Fachgesellschaften betonen scharfe Abgrenzung von der Tabakindustrie

Berlin – Eine Vielzahl medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften und Gesundheitsorganisationen hat Empfehlungen zum Umgang mit der Tabak- und Nikotinindustrie formuliert. Im Kern laufen sie auf eine maximale Abgrenzung hinaus.
Das entsprechende Positionspapier „Kodex zum Umgang mit der Tabak- und Nikotinindustrie – Handlungsimpuls für wissenschaftliche Fachgesellschaften“ ist im Fachjournal Pneumologie erschienen (2024, DOI: 10.1055/a-2445-4286).
Mit dem Positionspapier soll die Aufforderung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umgesetzt werden, bei der Bekämpfung des Tabakkonsums weder mit der Tabakindustrie noch mit Organisationen oder Personen zusammenzuarbeiten, die sich für die Interessen der Tabakindustrie einsetzen.
Die Gesellschaften warnen in dem Papier von einer „Pharmaceuticalisation“ der Tabakindustrie. Sie lenke die Regulierungsbehörden davon ab, sich auf den Zigarettenmarkt zu konzentrieren.
Mit der Werbung für eine vermeintliche Schadensminimierung durch neue Nikotinprodukte wie Dampfern versuche die Industrie, die wissenschaftliche Gemeinschaft zu spalten und sich damit als Partner bei der Herstellung sogenannter schadensmindernder Produkte zu positionieren.
„Die Tabakindustrie beeinflusst erfolgreich den Sprachgebrauch. Mit eingängigen Begriffen wie ‚harm reduction‘, ‚unsmoke‘ und ‚smoke-free‘ verwischt sie gezielt Grenzen zwischen Schadensstufen und -arten und trägt dazu bei, das Verständnis von Schaden zu unterminieren“, heißt es in dem Papier.
Beispielsweise verbreite die Industrie gezielt die Behauptung, E-Zigaretten seien ungefähr 95 Prozent weniger schädlich als Tabakzigaretten. „Dabei handelt es sich um einen veralteten, lediglich geschätzten und nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegten Wert eines Expertengremiums, deren Mitglieder teilweise Verbindungen zur Tabakindustrie hatten“, so die Autorengruppe des Papiers.
Die Gesellschaften warnen, manche Gruppen oder Einzelpersonen, die vermeintliche Vorteile des E-Zigaretten-Konsums offensiv verträten, gäben nicht an, dass sie finanzielle Unterstützung von Tabakunternehmen erhielten.
Der Nachweis einer Verbindung zur Industrie werde durch eine Vielzahl von Playern und Umbenennungen stark erschwert. Außerdem werde in Publikationen teilweise eine Verbindung zur Tabakindustrie nicht angegeben. Diese Mechanismen erschwerten einen transparenten Umgang mit Informationen und einem Interessenkonflikt.
Die Fachgesellschaften lehnen laut Konsensuspapier Geld- oder Sachzuwendungen der Tabakindustrie sowie der Hersteller und Vertreiber neuer Nikotinprodukte wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer und anderer Produkte ab – ebenso wie die Kooperation mit Personen und Organisationen, die sich von der Tabakindustrie fördern lassen oder die deren Interessen befördern. Die Fachgesellschaften verlangen zudem die Offenlegung gegenwärtiger oder früherer Beziehungen zu Tabakunternehmen.
An dem Positionspapier haben sich unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung, die Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie und die Deutsche Krebsgesellschaft beteiligt.
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