Vermischtes

Fachleute weisen auf vermeidbare und heilbare Demenzen hin

  • Freitag, 20. September 2024
/sewcream, stock.adobe.com
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Berlin – Ein größerer Teil der Demenzfälle in Deutschland ist durch Prävention vermeidbar oder – im Fall von sekundären Erkrankungen – heilbar. Darauf haben Fachleute vor dem morgigen Welt-Alzheimer-Tag hingewie­sen.

„Wir haben in den sekundären Demenzen die Möglichkeit, Demenz zu heilen“, sagte Michael Rapp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP), auf einer Pressekonferenz in Berlin. Das betreffe in etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Demenzkranken. So könne etwa bei einer rechtzeitig behan­delten Schilddrüsenerkrankung eine dadurch ausgelöste Demenz wieder verschwinden, sagte Rapp.

Um eine rechtzeitige Diagnose zu ermöglichen, sei Früherkennung ab 60 Jahren auf breiter Front nötig, so Rapp. „Dann würden wir durch diese Früherkennung die Möglichkeit haben, die Anzahl an Demenzkranken deutlich zu reduzieren.“ Es gebe Hinweise darauf, dass „bei einem signifikanten Anteil sekundärer Demenzerkrankungen eine Chance auf Stillstand oder Besserung besteht.“

Dazu zählten beispielsweise die chirurgische Behandlung von Nebenschilddrüsenadenomen und chronischen subduralen Hämatomen, die medikamentöse Substitution von fehlenden Schilddrüsenhormonen, die optimale Einstellung von Bluthochdruck und Diabetes mellitus sowie die Sekundärprophylaxe bei Hirninfarkten.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) schreibt auf seiner Internetseite, dass etwa zehn Prozent aller Demenzen sekundäre Erkrankungen sind. Da die Grunderkrankungen behandelbar und zum Teil sogar heilbar seien, sei „häufig eine Rückbildung der demenziellen Beschwerden möglich“.

Laut neuen Zahlen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DAG) leben in Deutschland derzeit rund 1,84 Millio­nen Menschen mit einer Demenzerkrankung, die meisten von ihnen haben demnach Alzheimer. Durch die fort­schreitende Alterung der Gesellschaft werde die Zahl der Demenzerkrankten auch in den kommenden Jahrzehn­ten kontinuierlich zunehmen. Die DAG geht davon aus, dass sich die Zahl der Betroffenen ab 65 bis zum Jahr 2050 auf 2,3 bis 2,7 Millionen erhöht.

Von allen Demenzkranken würden etwa 40 bis 50 Prozent eine Frühdiagnose bekommen, der Rest nicht, sagte Rapp. Entsprechend gebe es 80.000 bis 120.000 Menschen mit behandelbarer Demenz, die nicht von den ent­sprechenden Therapien profitieren könnten.

Dafür brauche es große Public-Health-Kampagnen. „Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vernachlässigt das Thema seit Jahren fahrlässig“, sagte Rapp. Beim Thema sekundärer Demenzen fehle es an einer bundesweiten Aufklärungskampagne, ein denkbarer Slogan sei laut Rapp: „Jede siebte Demenz ist heilbar, sprechen Sie mit Ihrem Arzt.“ Man könne davon ausgehen, dass wegen solcher Kampagnen sich mehr Menschen untersuchen ließen.

Außerdem sei Prävention wichtig. Unterschiedliche Modelle wiesen darauf hin, dass im Optimalfall Präventions­maßnahmen auf individueller Ebene – dazu gehören unter anderem konsequente Behandlung von Depressionen im mittleren Lebensalter, Sport, gesunde Ernährung, soziale Teilhabe – dazu führen würden, dass weitere zehn bis zwanzig Prozent der Demenzen verhindert werden könnten.

Natürlich würden solche Werte in Realität nicht erreicht, weil es natürlich nie alle Menschen schafften, alle Präventionsempfehlungen auch umzusetzen. „Aber jedes Prozent würde bedeuten, dass wir so in der Größen­ordnung von 15.000 bis 20.000 Fälle reduzieren können. Und das spielt eine Rolle.“ Die Gesellschaft müsse anfangen, so zu rechnen.

Ein weiteres derzeit heiß diskutiertes Thema rund um Alzheimer und Demenz sind neue Medikamente. Im Juli hatte der zuständige Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) empfohlen, das Alzheimer-Präparat Lecanemab nicht zuzulassen.

Das Antikörper-Präparat wäre das erste Mittel auf dem Markt, dass die Erkrankung im frühen Stadium ursächlich bekämpft. Man dürfe aber nicht vergessen, dass diese Medikamente bisher nur einem sehr kleinen Teil der Be­troffenen zugutekommen können, sagte dazu die 1. Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, Monika Kaus.

Zudem sei mit den neuen Medikamenten ein Stopp der Krankheit nicht möglich. „Auch wer sie bekommt, wird im Verlauf hilfebedürftig werden“, sagte Kaus. Deshalb müsste das Unterstützungssystem weiter ausgebaut bezieh­ungsweise so umgebaut werden, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen flächendeckend passende Angebote finden. „Dazu gehören Strategien gegen den Pflegenotstand ebenso wie eine Pflege- und Versorgungs­planung auf kommunaler Ebene.“

DAG-Geschäftsführerin Saskia Weiß ergänzte, dass es nicht genug ambulante Pflegedienste und zu wenig Tages­pflegeplätze gebe. „Und wenn es zuhause nicht mehr geht, gibt es auch keinen Platz im Pflegeheim“, sagte Weiß.

Die Heime könnten wegen Personalmangel gar nicht alle ihre Plätze besetzen. Sie suchten sich ihre Bewohne­rinnen und Bewohner dann oft selbst aus. „Und das sind nicht Menschen mit Demenz, weil Menschen mit De­menz sind in der Regel nicht einfach zu versorgen.“ Es sei eine dramatische Situation für die Betroffenen und Angehörigen, „die sich in den letzten Jahren auch immer weiter zuspitzt“.

fri

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