Medizin

FDA: Narkosemittel könnten Kleinkindern schaden

  • Donnerstag, 10. März 2011

Rockville – Seit einigen Jahren gibt es Hinweise, dass Narkosemittel die kognitive Entwicklung von Kindern schädigen könnten. Die US-amerikanische Arzneibehörde FDA hat deshalb zum zweiten Mal eine Expertentagung anberaumt. 

Vor vier Jahren hatte die FDA die pädiatrische Sicherheit von Anästhetika zum ersten Mal zum Gegenstand einer Expertentagung gemacht. Die externen Gutachter hatten damals weitere Studien eingefordert und sich auf den Ratschlag beschränkt, elektive Operationen bei Kindern nach Möglichkeit nicht vor dem dritten Geburtstag durchzuführen.

Anlass für die Bedenken waren damals vor allem tierexperimentelle Studien, die auf eine mögliche Schädigung von Hirnzellen in der Entwicklungsphase des Gehirns hingedeutet hatten.

Für heute ist eine erneute Tagung anberaumt. Die FDA hat im Vorfeld Briefing-Materialien zusammengestellt und im Internet veröffentlicht. Bob Rappapor, der Leiter der FDA-Abteilung für Anästhetika und Analgetika fasste die Ergebnisse außerdem in einem Beitrag im New England Journal of Medicine (2011; doi: 10.1056/NEJMp1102155) zusammen.

Danach mehren sich seit etwa einem Jahrzehnt tierexperimentelle Hinweise, nach denen Narkosemittel negative Auswirkungen auf die neurologische, kognitive und soziale Entwicklung haben könnten, wenn sie in einer kritischen Wachstumsphase auf das Gehirn einwirken, die bei Kleinkindern erst nach dem Ende des dritten Lebensjahrs abgeschlossen ist.

In den Experimenten, die vor allem an Nagern, in geringerer Zahl aber auch bei Primaten durchgeführt wurden, beobachteten die Forscher eine ausgedehnte Apoptose unreifer Oligodendrozyten (“Oligoapoptose”) sowie Veränderungen in der synaptischen Architektur. Diese Schäden traten beispielsweise nach einer Exposition mit Isofluran oder Ketamin auf.

Ob sie für den Menschen relevant sind, ist unklar. Ergebnisse aus randomisierten Studien liegen nicht vor, und die epidemiologischen Untersuchungen ergeben kein klares Bild. Rappapor zitiert eine retrospektive Kohortenstudie an 383 Kindern, bei denen in den ersten 3 Lebensjahren eine Hernienoperation durchgeführt worden war.

Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Operation und damit ohne Exposition mit Narkosemitteln kam es 2,3-fach häufiger zu Störungen der kindlichen Entwicklung (Journal of Neurosurgical Anesthesiology 2009; 21: 286-291).

In einer weiteren bevölkerungsbasierten Studie hatten Kinder, die in den ersten zwei Jahren eine Vollnarkose erhalten hatten, ein um 59 Prozent erhöhtes Risiko auf Lernstörungen. Bei drei oder mehr Narkosen betrug die Hazard Ratio sogar 2,60 (Anesthesiology 2009; 110: 796-804). Die Evidenz retrospektiver Studien ist jedoch begrenzt. Eine Kausalität lässt sich aus ihnen nicht ableiten, schreibt Rappapor.

Die Gutachter dürften deshalb dazu raten, vor weitergehenden Empfehlungen die Ergebnisse laufender Studien abzuwarten. Dazu gehört eine landesweite Analyse in Dänemark, die Angaben zur Narkose im Krankenhausregister mit den späteren Schulleistungen in Beziehung setzt. Eine prospektive Studie der Columbia Universität vergleicht die Entwicklung von Geschwisterkindern, von denen eines in den ersten 3 Jahren eine Narkose erhalten hat.

Weitere Erkenntnisse sind von einer randomisierten klinischen Studie zu erwarten, die sechs Ländern durchgeführt wird. Kinder werden dort auf eine Vollnarkose mit Sevofluran oder eine Regionalanaesthesie mit Bupivacain randomisiert.

rme

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