Medizin

Forscher synthetisieren „veganes“ Heparin

  • Donnerstag, 7. September 2017
ibreakstock - stock.adobe.com
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New York – Ein vollständig synthetisiertes niedermolekulares Heparin, das in indus­triellem Maßstab produziert werden könnte, hat in ersten präklinischen Tests eine stärkere antikoagulative Wirkung erzielt als ein handelsübliches Präparat. Vorteile des in Science Translational Medicine (2017; 9: eaan5954) vorgestellten Dodecasaccharids könnten eine zuverlässigere Pharmakokinetik und der Möglichkeit sein, die Wirkung durch das Antidot Protaminsulfat aufzuheben.

Heparin wird heute noch auf die gleiche Weise wie bei seinem ersten medizinischen Einsatz Ende der 1930er Jahre aus den Gedärmen von Schweinen gewonnen, die Isolierung aus Rinderlungen wurde nach der BSE-Epidemie aufgegeben. Mit welchen Gefahren dies in Zeiten eines globalen Wettbewerbs mit lückenhaften Sicherheits­kontrollen ist, zeigte sich 2008, als gefälschte Präparate aus China (dem Hauptpro­duzenten) auf den Weltmarkt gelangten und mehr als 80 Menschen an den Folgen der dadurch verursachten Komplikationen starben. Die Arzneimittelbehörden waren anfangs machtlos, da ihre Tests nicht in der Lage waren, das gefälschte vom echten Heparin zu unterscheiden.

Heparin ist zudem kein pharmakologisch klar definierter Wirkstoff. Es handelt sich vielmehr um eine Mischung verschieden langer Polysaccharide (genauer Polyglykane). Dies ist auch bei dem heute bevorzugten niedermolekularen Heparin (LMWH) nicht anders, bei dem die langen Heparin-Moleküle durch chemische Reaktionen in kleinere Abschnitte von sechs bis 30 Sacchariden aufgespalten werden. Nur ein kleiner Teil der entstehenden Fragmente ist antikoagulativ wirksam. 

Seit längerem wird deshalb nach synthetischen Alternativen gesucht, die durch eine identische Struktur eine zuverlässigere Wirkung versprechen und nicht mehr auf den Rohstoff Schweinedarm angewiesen sind (deren Einsatz bei Veganern sowie bei Muslimen und Juden auf Bedenken stößt).

Das erste synthetische Heparin ist Fondaparinux, das aus fünf Sacchariden besteht. Es ist jedoch kein vollständiger Ersatz für LMWH, da es nicht für Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen geeignet ist und seine Wirkung nicht durch Protaminsulfat gestoppt werden kann.

Einem Team um Robert Linhardt und Jian Liu vom Rensselaer Polytechnic Institute in New York ist jetzt die Synthese von Kurzheparinen aus 12 Sacchariden gelungen. Die Synthesewege sind dabei so einfach gehalten, dass – nach Auskunft der Autoren – eine industrielle Produktion möglich wäre. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Wirkung des Dodecasaccharids („12-mers") durch Protaminsulfat gestoppt werden kann. 

Eines der Kurzheparine, „12-mer-1“, wurde inzwischen ausführlich in Tierversuchen getestet. Bei Mäusen mit einer künstlich induzierten Thrombose wurde das Gewicht des Gerinnsels innerhalb eines Tages um 60 Prozent verkleinert. „12-mer-1“ erzielte einer die gleiche antikoagulierende Wirkung wie Enoxaparin bei nur einem Fünftel der Dosis von Enoxaparin. Der synthetische Mehrfachzucker linderte auch die Koagulation bei Mausmodellen mit der Sichelzell-Anämie.

Auch die toxikologischen Tests fielen günstig aus. „12-mer-1“ scheint die gleiche Verträglichkeit zu haben wie ein LMWH. Die Halbwertzeit bei Rhesusaffen betrug fünf bis sechs Stunden, was eine zweimal tägliche Dosierung wie bei einem LMWH ermöglichen könnte. Die Hoffnung, dass „12-mer-1“ in nennenswerter Weise von der Leber abgebaut wird, erfüllte sich jedoch nicht. „12-mer-1" wird renal ausgeschieden. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz wäre wohl eine Dosisreduktion notwendig. Mit einer Kontraindikation bei Niereninsuffizienz wie für Fondaparinux rechnen die Autoren jedoch nicht.

rme

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