Ärzteschaft

„Frauen haben es in einigen chirurgischen Fächern immer noch schwerer als Männer“

  • Freitag, 7. März 2025

Hamburg – Mittlerweile sind rund 70 Prozent aller Medizinstudierenden weiblich, in der Chirurgie ist jedoch unter den ärztlich Tätigen nur jede fünfte eine Frau. Sonja Könemann wundert das nicht. Chirurgische Bereiche seien immer noch männerdominiert, sagt sie.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erläutert die junge Chirurgin, welche Bedenken und Mythen Frauen immer noch davon abhalten, in die Chirurgie zu gehen und wie diese ausgeräumt werden können.

Sonja Könemann/ privat
Sonja Könemann/ privat

5 Fragen an Sonja Könemann, Fachärztin Viszeralchirurgie an der
Asklepios Klinik Hamburg-Altona und Vorstandsmitglied des Vereins „Die Chirurginnen“

Erhebungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Wunsch von jungen Menschen, Chirurg und Chirurgin zu werden, im Laufe des Studiums abnimmt. Gerade junge Frauen, die zu Beginn des Medizinstudiums Interesse an der Chirurgie gezeigt haben, nehmen davon wieder Abstand. Wie erklären Sie sich das und wie war das bei Ihnen? Wann stand für Sie fest, dass Sie Chirurgin werden?
Bei aller Begeisterung, die ein nahbares, spannendes Fach wie die Chirurgie während des Studiums wecken kann, erleben die Studierenden leider häufig während der Famulaturen, der Klinikeinsätze und im Praktischen Jahr die bittere Realität in vielen deutschen Kliniken. Ressourcen- und vor allem Personalknappheit, Überlastung besonders bei Berufseinsteigerinnen und Einsteigern sowie der Kostendruck, der die patientenzentrierte Medizin erschwert, sorgen für Frustration in der Belegschaft und damit für schwierige Lernbedingungen für den Nachwuchs. Dabei haben die chirurgischen Fächer zudem immer noch den Ruf, besonders unflexible, hierarchische Strukturen zu kultivieren.

Vor allem für junge Frauen fehlen in der Chirurgie vielerorts immer noch die Vorbilder. Auch ich persönlich hatte kein Role model in meinem Umfeld und Freunde und Familie haben mir davon abgeraten, Chirurgin zu werden. Schon im Studium während eines Nebenjobs im OP, in Famulaturen und im Praktischen Jahr hat mich die Chirurgie jedoch komplett begeistert und meinem Herzen gefolgt zu sein habe ich nie bereut.

Es gibt Bedenken und sicher auch Mythen, die gegen die Berufswahl Chirurgie für junge Frauen sprechen. Welche sind wahr und welche nicht?
Als ich mich in der Entscheidungsfindung befand, welche Fachrichtung es für mich nach dem Staatsexamen werden würde, wurde ich immer wieder mit denselben vermeintlichen Hinderungsgründen konfrontiert: „Als Teamplayerin bist du in der Chirurgie verloren, Ellenbogen sind da ein Muss.“ „Eine Work-Life-Balance gibt es nicht für Chirurginnen und Chirurgen.“ „Familie kannst du dir dann abschminken.“ „Entweder gute Mutter oder gute Chirurgin.“ „Teilzeit geht nicht in der Chirurgie.“ „Dann bist du für immer an die Klinik gebunden.“ „Frauen sind zu schwach für die Chirurgie.“ Vor meinem Arbeitsbeginn hat mich das sehr verunsichert. Der Grund dafür waren vorrangig die fehlenden Vorbilder, die mir den Weg aufgezeigt hätten, wie das, was ich mir für meine Zukunft wünsche, aufgehen könnte.

Ausnahmslos alle dieser Aussagen möchte ich mit nunmehr über zehn Jahren Berufserfahrung und vierjähriger Vereinsmitgliedschaft bei „Die Chirurginnen“ vehement verneinen. Natürlich gibt es im Leben nie 100 Prozent in allen Bereichen. Aber es gibt durchaus sehr viele Beweise exzellenter Chirurginnen mit Familie sowie die unterschiedlichsten funktionierenden Teilzeitmodelle, harmonische Teams mit guten Arbeitsbedingungen sowie vielfältige Einsatzbereiche auch außerhalb der Klinik. Die große Vielfalt der Lebensläufe von Chirurginnen ist mir erst mit Eintritt in den Verein sichtbar geworden und endlich hatte ich die Gewissheit, dass es funktionieren kann – denn andere vor mir hatten es auch schon geschafft.

 Sie sagen: „Andere hatten es auch schon geschafft“. Haben es denn Frauen aus Ihrer Sicht in der Chirurgie schwerer als in anderen medizinischen Fächern?
Ja – Frauen haben es in einigen chirurgischen Fächern immer noch schwerer als Männer. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass einige chirurgische Bereiche immer noch männerdominiert sind und die Führungspositionen in der Chirurgie hauptsächlich durch Männer besetzt sind. Sowohl in den Köpfen von Chefärzten, Personalern als auch der Gesellschaft sind junge Frauen als Arbeitnehmerinnen immer noch ein möglicherweise unbequemer Faktor: „Sie wird doch sowieso bald schwanger.“ „Sie will doch eh nur Teilzeit arbeiten.“ „Dann wird sie andauernd fehlen wenn das Kind krank ist.“ „Karriere möchte sie doch eh nicht machen."

Vermeintlich ist immer noch per se die Frau/Mutter vollverantwortlich für Familienangelegenheiten. Dass aber mittlerweile in gelebter gleichberechtigter Partnerschaft auch eine andere Aufgabenverteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit möglich ist, wird oft ignoriert. Bei Frauen ist die Kinderfrage bei Bewerbungsgesprächen fast immer Thema, bei Männern scheint das nicht relevant zu sein.

Dazu kommt, dass durch die bisher noch unzureichende Sichtbarkeit von Frauen in schneidenden Fächern auch die selbstverständliche Akzeptanz bei den Patientinnen und Patienten noch fehlt. Als Chirurgin werde ich trotz Kittel, Fachärztinnenbezeichnung und Doktortitel auf dem Namensschild häufig für die Pflegekraft gehalten – meine männlichen Kollegen fast nie. „Können Sie das denn auch?“, das ist eine häufige Frage, wenn Patientinnen und Patienten mich als Operateurin kennenlernen. „Wann sehe ich denn mal den Arzt?“, das höre ich am Ende des Visitengesprächs oder in der Sprechstunde. Damit tagtäglich umzugehen kostet Energie.

Wie kann da der Verein „Die Chirurginnen e.V.“, zu dessen Vorstand Sie gehören, unterstützen?
Mit mittlerweile fast 2.500 Mitgliedern wollen wir vor allem ein Netzwerk für Frauen sein, die sich gegenseitig unterstützen und fördern und an- und miteinander lernen. Um die Sichtbarkeit von Frauen in der Chirurgie zu verbessern, zeigen wir berufspolitische und gesamtgesellschaftliche Präsenz. Um den immer noch schwierigen Weg in Leitungspositionen zu vereinfachen, profitieren die Jüngeren von den Erfahrungen der Älteren. Andersherum sind die Chirurginnen mit Leitungsfunktion nah an den Belangen und Bedürfnissen des Nachwuchses und bekommen neue Impulse für eine für alle funktionierende Teamstruktur sowie effiziente Lern- und Arbeitsbedingungen. Wir treiben die Gleichberechtigung in der Chirurgie voran und wollen dafür sorgen, dass keine junge Frau den Traum aufgibt, Chirurgin zu werden, weil sie auf hinderliche Strukturen trifft und Opfer stereotyper Diskriminierung wird. Dabei geht es in keiner Weise darum, irgendeinem Mann etwas streitig zu machen oder Männer zu benachteiligen oder zu diffamieren.


Eine letzte Frage: Was raten Sie Medizinstudentinnen und jungen Ärztinnen, die sich für die Chirurgie interessieren?
Lasst Euch nicht entmutigen – die Chirurgie ist ein wunderbares, vielfältiges Fachgebiet, in dem man große berufliche Erfüllung finden kann. Sucht Euch Mentorinnen und Mentoren sowie Gleichgesinnte.

ER

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