Blick ins Ausland

Fünf Jahre am Viktoria-See oder was macht ein deutscher Chirurg in Afrika?

  • Mittwoch, 5. März 2008

Noch liegt es kein halbes Jahr zurück, dass wir aus unserem vollgeladenen Toyota Landcruiser das letzte Mal einen Blick auf unser Haus, das zwischen dem Krankenhaus von Ndolage und dem 90 m hohen Wasserfall liegt, geworfen haben. 5 Jahre wohnten wir mit unseren beiden Kindern in 1500 m Höhe mit Blick auf den in der Ferne gelegenen Viktoria-See bei angenehmem Klima in einer ruhigen, friedlichen Umgebung mit freundlichen Nachbarn.

Hier in Deutschland werde ich immer wieder von Kolleginnen und Kollegen angesprochen, die sich früher auch einmal mit dem Gedanken getragen haben, in der „Dritten Welt“ zu arbeiten oder dieses im Ruhestand anstreben. So will ich die Gelegenheit nutzen, von meinem Einsatz im ostafrikanischen Tansania zu berichten.

Ndolage vor Operationssaal
Ndolage, vor Operationssaal

Ja, es gibt sie noch, die kleinen Buschkrankenhäuser vom Typ „Lambarene“, aber sie werden immer seltener. Nach der Unabhängigkeit ist es vielen afrikanischen Staaten gelungen, überall im Lande Ambulanzen aufzubauen, die mit einfachen Mitteln versuchen die Basisversorgung der Bevölkerung zu sichern und die Haupttodesursachen zurückgedrängt haben. Zunehmend steht qualifiziertes einheimisches Personal zur Verfügung, auf Grund der Armut der Bevölkerung fehlt aber gerade auf dem Lande das Geld, diese zu bezahlen. Kleine Krankenhäuser mit einem Einzugsgebiet von gut 100.000 bis 200.000 Menschen, in denen meist ein bis drei Ärzte ihren Dienst tun, folgen als nächsthöhere Versorgungsstufe. In den Großstädten gibt es große Überweisungskrankenhäuser mit Fachärzten. Hier erfolgt auch hauptsächlich der Einsatz von ausländischen Ärztinnen und Ärzten.

Überblick Ndolage Hospital
Überblick Ndolage Hospital

Ndolage liegt im Nordwesten Tansanias in der Kagera-Region. Diese grenzt an Ruanda und Uganda und hat 2.000.000 Einwohner. In der gesamten Region gibt es 13 Krankenhäuser und 25 Ärzte, von denen nur der leitende Arzt von Ndolage über einen Facharzttitel (Gynäkologie und Geburtshilfe) verfügt. Obwohl 56 km von der Provinzhauptstadt Bukoba entfernt, dient Ndolage auf Grund seiner relativ guten ärztlichen Besetzung als Überweisungskrankenhaus für die gesamte Region. Eigentümer des Krankenhauses ist die Evangelisch-Lutherische Kirche von Tansania, die bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal um die Entsendung eines Chirurgen gebeten hat.

Leider reichen die Spenden aus Übersee und die staatliche Unterstützung für Ndolage bei weitem nicht aus, um die Behandlung kostenlos anzubieten. Trotz der für deutsche Verhältnisse sehr geringen Preise stellen diese im Krankheitsfall oft eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz für die Bauern der Umgebung dar. Dieses und der Mangel an höher qualifizierter Gesundheitsversorgung haben zur Folge, dass viele Erkrankungen erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium durch uns behandelt wurden.

Ndolage Entfernung Splitter
Dr. Beier (linke Patientenseite) nach Entfernung eines Splitters einer Kreissäge aus dem Thorax

Wo lag nun meine Rolle als aus Deutschland stammender Facharzt für Chirurgie? In einem Umfeld, wo die wichtigsten Prozeduren wie Kaiserschnitte und Leistenbruchoperationen gut durch die einheimischen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt wurden, sah ich eine Aufgabe darin, die Rolle des Krankenhauses als Überweisungsinstanz aufzubauen und dabei gleichzeitig tansanische Kollegen auszubilden. Für mich ist es sehr erfreulich, dass zwei tansanische Kollegen, die den Arztberuf auf einen nur dort anerkannten zweiten Bildungsweg erworben haben, nun gut Strumen operieren und transvesikale Prostatektomien durchführen. Sie haben bis jetzt auch alle Komplikationen gut beherrscht.

Ein weiterer Schwerpunkt für mich war die Traumatologie. Der im Lande stark forcierte Kampf gegen Malaria, AIDS und all die anderen tödlichen Infektionskrankheiten hat zur Folge, dass „kleinere“ Probleme, wie Sehnenverletzungen kaum thematisiert wurden. Viel Energie benötigte ich auch für unsere Intensivstation. Speziell ausgebildete Intensivpflegekräfte gibt es im Lande nicht und es brauchte einige Zeit, bis wir ein Team zusammen hatten, das die Grundsätze der Intensivpflege verstand und mit dem es uns auch gelang, mit geringsten Mitteln Patienten mit schweren abdominellen Erkrankungen wie fortgeschrittenen Peritonitiden durchzubekommen. Großen Respekt habe ich da auch vor unseren Anästhesiepflegern gewonnen, die einmal eine Patientin eine ganze Nacht per Hand beatmet haben.

Eine weitere wichtige Rolle für „ökumenische Austauschmitarbeiter, so war mein offizieller Titel, ist die Funktion als Brückenbauer. Es gibt ein großes Geflecht von Beziehungen von Ndolage zu Institutionen und Einzelpersonen in der ganzen Welt. Für all die Gäste aus Deutschland waren wir natürlich die Ansprechpartner und auf diesem Weg konnten wir auch viel Unterstützung für das Krankenhaus organisieren. Zusammen mit der VEM konnten wir einen Poor-Patients-Fund mit Spenden hauptsächlich aus Deutschland aufbauen, um die Hilfe für zahlungsunfähige Patienten zu verbessern. Auch war ich Ansprechpartner für die mehrheitlich aus Deutschland stammenden 50 Medizinstudierenden, die während unserer Zeit nach Ndolage kamen. Für all diese administrativen Tätigkeiten waren die sehr gute Zusammenarbeit mit der Krankenhausverwaltung und auch die funktionierende Internetverbindung wichtig.

Im Rückblick kann ich die Zeit in Ndolage trotz mancher Kämpfe und Anstrengungen als einen gelungenen und wichtigen Lebensabschnitt bezeichnen. Bis jetzt bereue ich es nicht, mit 42 Jahren eine Oberarztstelle aufgegeben zu haben. Ich muss jetzt zwar wieder den Anschluss an die technische (und bürokratische) Weiterentwicklung in Deutschland finden, aber das wird durch die fünf erfüllten Jahre in Tansania mehr als aufgewogen.

Autor: Dr. Frank Beier

Dr. Frank Beier

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