Gegenseitige Beschuldigungen wegen Raketeneinschlags in Al-Ahli-Klinik

Tel Aviv/Gaza – Nach der Explosion in einem Krankenhaus in Gaza wächst die Sorge vor einer Eskalation des Konflikts. Israels Militär veröffentlichte heute Aufnahmen, die beweisen sollen, dass eine fehlgeleitete Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad für den Einschlag in der Al-Ahli-Klinik verantwortlich sei. Diese wies das zurück.
In dem veröffentlichten Videozusammenschnitt werden Luftaufnahmen vor und nach dem tödlichen Vorfall verglichen. Es sei kein typischer Krater zu sehen, wie er sonst bei israelischen Luftangriffen entstehe, hieß es vom israelischen Militär.
Nach Angaben der Armee schlug dort stattdessen eine fehlgeleitete Rakete des Islamischem Dschihad ein. Der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus sagte dem US-Sender CNN außerdem, das Militär habe Beweise vorliegen über ein von Israel abgehörtes Gespräch zwischen Hamas-Terroristen.
Sie hätten gesagt: „Oh, da gab es offenbar eine Fehlfunktion oder eine Explosion einer Rakete, die im Gazastreifen gelandet ist.“ Zudem sei kurz vor dem Vorfall eine Salve von Raketen aus dem mittleren oder nördlichen Abschnitt des Gazastreifens in Richtung Israel abgefeuert worden. Diese sei auf Israels Radarsystem verzeichnet worden.
Der Islamische Dschihad wies die Schuldzuweisung der Israelis zurück. Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen, das der dort herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas untersteht, teilte mit, dass die „mehrere Hundert“ Menschen bei einem israelischen Luftangriff auf das Krankenhaus getötet und verletzt worden seien. Eine genaue Zahl wurde dabei nicht genannt.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober starben demnach rund 3.200 Menschen im Gazastreifen. Rund 11.000 weitere seien verletzt worden, erklärte das Ministerium. In Israel waren bei Massakern im Auftrag der Hamas im Grenzgebiet und in den Tagen danach mehr als 1.400 Menschen getötet worden. Rund 4.400 Menschen wurden nach Angaben der israelischen Regierung verletzt.
Nach der Explosion in dem Krankenhaus gab es in der arabischen Welt, auch unter westlichen Verbündeten, sofort Schuldzuweisungen an Israel. In mehreren Ländern, auch in Deutschland, folgten wütende Proteste.
Saudi-Arabien verurteilte das „abscheuliche Verbrechen“ aufs Schärfste – und machte Israel dafür verantwortlich, wie aus einer Erklärung des saudischen Außenministeriums hervorging. Riad verurteile die „anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung“ auf Zivilisten.
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gaben Israel die Schuld. Marokko verurteilte die „Bombardierung“ der Klinik „durch israelische Streitkräfte“ ebenso „aufs Schärfste“. Auch Bahrain schloss sich der Kritik am „israelischen Bombenanschlag“ an.
UN-Generalsekretär António Guterres forderte eine Feuerpause. „Ich rufe zu einer sofortigen Feuerpause auf, um genug Zeit und Platz bereitzustellen, damit meine beiden Aufrufe realisiert und das epische menschliche Leid gelindert werden kann“, sagte er in Peking. Damit meinte er seine Forderung an die Hamas, Geiseln freizulassen, und an Israel, humanitäre Hilfe in Gaza zuzulassen.
Die israelische Armee rief die Einwohner der Stadt Gaza sowie des nördlichen Gazastreifens dazu auf, ein „humanitäres Gebiet“ südlich von Wadi Gaza (Flussbett) aufzusuchen. Dort solle humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt werden, hieß es in dem heute veröffentlichten Aufruf. Das Gebiet befinde sich in Al-Mawasi. Die Armee empfehle auch, sich in offene Gebiete im Westen von Chan Junis, ebenfalls im Gebiet Al-Mawasi, im Süden des Gazastreifens zu begeben.
Die Veröffentlichung der Aufnahmen zum Raketeneinschlag im Gazastreifen durch Israels Militär erfolgte kurz vor der Ankunft von US-Präsident Joe Biden in Tel Aviv. Biden reagierte bestürzt auf den Raketeneinschlag. Er sei „empört und zutiefst betrübt“, hieß es.
Bei seinem Besuch in Israel wolle Biden auch „harte Fragen“ stellen, sagte John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung während des Fluges. Biden wolle unter anderem mehr über Israels Ziele und Pläne in den kommenden Tagen und Wochen hören. Der US-Präsident werde zudem sehr deutlich machen, dass die USA keine Ausweitung des Konflikts wollten, hieß es.
Im Anschluss an seinen Kurzbesuch in Israel wollte Biden ursprünglich nach Jordanien, um mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. zusammenzukommen. Jordanien habe das Treffen in Absprache mit der US-Delegation abgesagt, so Kirby.
Abbas werde wegen einer dreitägigen Trauer nach der Explosion nicht anreisen. Biden werde mit Abbas und Al-Sisi auf dem Rückflug reden. Jordaniens Außenminister Aiman al-Safadi sagte dem jordanischen TV-Sender Al-Mamlaka, das Treffen werde erst dann stattfinden, wenn es eine Einigung gebe, den Krieg zu beenden und „diese Massaker“ zu stoppen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) traf bereits in der Nacht zum Mittwoch aus Israel kommend in der ägyptischen Hauptstadt ein, nachdem sich der Abflug wegen Raketenalarms verzögert hatte. Scholz zeigte sich „entsetzt“ über die Explosion in dem Krankenhaus. Es sei wichtig, dass dieser Vorfall sehr genau aufgeklärt werde.
Auch das Auswärtige Amt in Berlin hat den Angriff auf ein Krankenhaus in Gaza mit zahlreichen Toten scharf verurteilt. „Wir sind zutiefst schockiert angesichts der Berichte über hunderte Tote im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza“, erklärte das Außenministerium auf seinem englischsprachigen Account auf X, ehemals Twitter, GermanForeignOffice.
„Zivile Ziele, insbesondere ein voll funktionstüchtiges Krankenhaus mit Patienten und medizinischem Personal, dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden.“ Zivilisten müssten in Konflikten geschützt werden, hieß es weiter.
Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW rief die Bundesregierung auf, sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen und für eine unabhängige Untersuchung des Raketenangriffs auf die zivile Infrastruktur, der gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisierte erneut, dass Israel zur Evakuierung von Krankenhäusern im Norden des Gazastreifens – darunter die nun getroffene Klinik – aufgerufen hatte. „Die Evakuierung war bislang unmöglich“, betonte die WHO und verwies auf die Sicherheitslage, den Zustand der Patienten, sowie den Mangel an Krankenwagen, Personal und alternativen Krankenhäusern.
„Die WHO fordert den sofortigen Schutz der Zivilisten und des Gesundheitswesens“, hieß es in der Stellungnahme, in der auch darauf hingewiesen wurde, dass Gesundheitseinrichtungen gemäß dem humanitären Völkerrecht nie angegriffen werden dürfen.
Nach dem Beschuss der Al-Ahli-Klinik ist es in muslimisch geprägten Ländern zu Protesten gekommen. Im Iran versammelten sich am frühen Morgen hunderte Demonstranten vor der britischen und der französischen Botschaft in Teheran.
Die Demonstranten warfen Eier auf die französische Botschaft und forderten den Tod Englands und Frankreichs. Israel und die USA haben keine Botschaften in Teheran, da sie keine diplomatischen Beziehungen zum Iran unterhalten. Mehrere Tausend Menschen kamen zudem auf einem zentralen Platz der iranischen Hauptstadt zusammen, um ihre Wut über den folgenschweren Angriff zu manifestieren.
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi rief einen Tag der Trauer aus und erklärte nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Irna, dass „die Flammen der US-israelischen Bomben, die heute Abend auf die verletzten Palästinenser im Krankenhaus in Gaza abgeworfen wurden“, die „Zionisten (...) verzehren werden“. Teheran forderte zudem arabische Staaten, die Beziehungen zu Israel unterhalten, auf, diese abzubrechen.
Die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon verkündete einen „Tag der Wut gegen den Feind“ und sprach mit Blick auf den Raketenbeschuss von einem „Massaker“ und „brutalen Verbrechen“. Auch in der libanesischen Hauptstadt Beirut demonstrierten nach Angaben eines AFP-Korrespondenten hunderte Menschen vor der US-Botschaft und skandierten „Tod für Amerika“ und „Tod für Israel“.
In Jordanien versuchten Demonstranten, die israelische Botschaft zu stürmen. Katar sprach von einem „brutalen Massaker“ und einem „abscheulichen Verbrechen gegen wehrlose Zivilisten“.
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