Medizin

Gehirn- und Rückenmarks­verletzung: Hormonspiegel wirkt sich auf Immunorgane aus

  • Montag, 9. Oktober 2017
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/Sagittaria-stockadobecom

Berlin – Einen Signalweg, der Nerven- und Immunsystem über Hormone miteinander verbindet, haben Wissenschaftler um Harald Prüß vom Deutschen Zentrum für neuro­degenerative Erkrankungen (DZNE), der Charité – Universitätsmedizin Berlin und US-amerikanische Forscher entdeckt. Der Zusammenhang könnte erklären, warum Verletzungen des Gehirns oder Rückenmarks das Risiko für Lungenentzündungen und andere Infekte erhöhen. Die Arbeit ist in der Zeitschrift Nature Neuroscience erschienen (doi 10.1038/nn.4643).

Verletzungen am Gehirn oder Rückenmark, beispielsweise durch einen Schlaganfall oder Unfall, schwächen die Immunabwehr. Infolgedessen können sich schwere Infektionen wie Lungenentzündungen oder Harnwegsinfekte entwickeln. Diese Erkrankungen beeinträchtigen die Regeneration des verletzten Nervengewebes und damit die Rehabilitation der Patienten. Bislang ist jedoch nur wenig bekannt darüber, in welcher Weise Schädigungen des zentralen Nervensystems zu Infektionen beitragen, was eine zielgerichtete Therapie erschwert.

Große Überraschung

Ausgangspunkt der Forscher war die Vermutung, dass aus dem Rückenmark kommende Nervenbahnen direkten Einfluss auf die Funktion von Immunorganen wie Lymph­knoten, Thymus oder Milz haben. Dies erwies sich aber als irrig. „Es war eine große Überraschung, dass diese direkte Ansteuerung nicht für die Fehlfunktion der Immun­organe verantwortlich ist“, erklärte Prüß. Stattdessen geschehe die Fehlsteuerung auf indirektem Weg über eine Störung des Hormonspiegels.

„Es gibt Nervenleitungen, die vom Rückenmark bis zu den Nebennieren reichen und damit Produktion und Freisetzung von Hormonen durch die Nebennieren beeinflussen. Bei einer Rückenmarksverletzung werden diese Verbindungen durchtrennt oder zumin­dest beschädigt“, erläuterte der Forscher. „Wir haben festgestellt, dass dadurch die Ausschüttung von Hormonen durch die Nebennieren gestört wird. Der veränderte Hormonspiegel wirkt sich auf die Immunorgane aus und schwächt so letztlich die Abwehrkräfte“, so Prüß.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass bei Mäusen mit Rückenmarksverletzungen Lymph­knoten, Thymus und Milz an Größe einbüßten. Manche Immunorgane schrumpften um bis zu 80 Prozent, da die Zahl der in ihnen enthaltenen Immunzellen zurückging: Besonders betroffen waren Vorläufer der sogenannten T- und B-Zellen.

Die Abläufe widersprechen laut den Forschern der gängigen Lehrmeinung in mancher Hinsicht. Bislang habe man erwartet, dass nach den Verletzungen des Zentralnerven­systems große Mengen an Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden. „Wir sehen jedoch, dass die Pegel dieser Stresshormone zurückgehen“, so Prüß. Analysen des Hormonspiegels von Patienten zeigten zudem: Nach akuter Rückenmarkverletzung verhält sich der Hormonhaushalt beim Menschen ähnlich wie bei der Maus.

hil

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