Medizin

Genom-Analyse: Jeder fünfte Hausarztpatient hat Krankheitsmutation

  • Dienstag, 27. Juni 2017
/Andrea Danti, stock.adobe.com
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Boston – Hausärzte und ihre Patienten werden in Zukunft häufiger mit Ergebnissen von Genom-Analysen konfrontiert werden. Eine randomisierte Studie in den Annals of Internal Medicine (2017; doi: 10.7326/M17-0188) hat untersucht, wie beide Gruppen mit den Ergebnissen umgehen.

Die Kosten für Genom-Analysen sind in den vergangenen Jahren stark gefallen und alle Experten gehen davon aus, dass der Trend anhalten wird. Auf absehbare Zeit könnten komplette Erbgut-Analysen zum Angebot von Hausärzten gehören. Diese Vorstellung sorgt nicht nur für positive Erwartungen, es werden auch Befürchtungen geweckt. Ärzte könnten mit der Auswertung der Daten überfordert sein und die Patienten durch die Kenntnis ihrer „Erbschwächen“ verunsichert werden.

Untersuchung des „MedSeq“-Projekts

Das von den National Institutes of Health geförderte „MedSeq“-Projekt hat erstmals in einer randomisierten Studie untersucht, wie Ärzte die Ergebnisse einer Genom-Analyse verarbeiten und Patienten sie verkraften: 100 gesunde Personen wurden auf zwei Gruppen randomisiert. Die eine Hälfte wurde von ihrem Hausarzt gründlich untersucht und nach genetischen Erkrankungen in der Familie befragt. In der anderen Gruppe wurde zusätzlich eine gründliche Genom-Analyse durchgeführt. Mit automatischen Sequenzierern wurde in insgesamt 30 Durchläufen nach etwa 3 Millionen bekannten Genvarianten gesucht. Die Kosten für den Test liegen dem Vernehmen nach derzeit bei etwa 5.000 US-Dollar.

Die Hausärzte hatten vor der Studie eine sechsstündige Fortbildung erhalten, um ihre Kenntnisse zur Genetik aufzufrischen. Die Schulung sollte sie in die Lage versetzen, die Test-Ergebnisse, die kurz auf einer Seite zusammengefasst waren, zu interpretieren und die Auswirkungen ihren Patienten zu vermitteln. Zu den Lerninhalten gehörte auch die Kenntnis, dass nicht jeder Gendefekt (Genotyp) auch zu einer Erkrankung (Phänotyp) führt, was auch als Penetranz bezeichnet wird.

Die 50 Genom-Analysen führen bei elf Patienten (22 Prozent) zur Entdeckung von monogenetischen Erkrankungen. Sie gingen bei zwei der elf Patienten mit Symptomen einher. Bei einem Patienten wurde ein Fundus albipunctatus diagnostiziert. Eine Mutation im RDH5-Gen (11-cis Retinol Dehydrogenase) hat eine Störung der Dunkeladaptation zur Folge. Sie war dem Patienten als Nachtblindheit aufgefallen. Bei dem anderen Patienten wurde eine Porphyria variegata diagnostiziert. Ein Defekt im Gen PPOX, das die Information für ein Schlüsselenzym der Häm-Biosynthese enthält, hat eine Akkumulation von Vorläufersubstanzen zur Folge. Sie bedingt eine erhöhte Lichtempfindlichkeit, unter der mehrere Mitglieder der Familie litten, ohne dass bisher der Grund dafür bekannt war.

Die anderen neun Patienten hatten Mutationen, die bisher nicht zu Erkrankungen geführt haben. In zwei Fällen waren dies Genvarianten, die zu Herzrhythmusstörungen führen könnten (aber wegen einer inkompletten Penetranz nicht führen müssen). Die kardiologischen Untersuchungen der beiden Patienten ergaben keine auffälligen Befunde.

Keine Überreaktionen ausgelöst

Wie Jason Vassy vom Brigham and Women's Hospital in Boston und Mitarbeiter berichten, lösten die Ergebnisse bei Ärzten nicht die befürchteten diagnostischen Überreaktionen aus. Die Ärzte empfahlen bei 34 Prozent der Patienten neue Behandlungen. In der Vergleichsgruppe war dies bei 16 Prozent der Patienten der Fall. Genetiker bewerteten die Entscheidungen der Ärzte bei acht monogenetischen Erkrankungen als angemessen und in zwei Fällen als nicht angemessen.

Die Zusatzkosten für die medizinischen Tests lagen in den ersten sechs Monaten im Bereich von 350 US-Dollar. Der Unterschied zur Kontrollgruppe war nicht signifikant. Die befürchtete Kostenexplosion ist damit ausgeblieben.

Auf die meisten Patienten nahmen die Ergebnisse der Genom-Analyse laut Vassy gelassen auf insgesamt 41 Prozent (gegenüber 30 Prozent in der Kontrollgruppe) gaben an, das sie aufgrund der ärztlichen Beratungen ihren Lebensstil ändern wollten.

Zu den nicht näher untersuchten Folgen der Genom-Untersuchung gehören Entscheidungen beim Kinderwunsch. Bei allen Teilnehmern wurde im Erbgut mindestens ein einzelner Gendefekt entdeckt, der zu autosomal-rezessiven Erkrankungen führen kann. Die betroffenen Patienten waren nicht gefährdet, da nur eine der beiden Gene von der Mutation betroffen war. Bei einem Kinderwunsch könnte sich eine genetische Untersuchung des Partners anbieten. Sollt er oder sie den gleichen Gendefekt haben, bestünde für die Nachfahren eine Chance von 1 zu 4 auf eine Erkrankung.

Ein kontroverses Feld ist die Bewertung von polygenen Erkrankungen wie dem Typ 2-Diabetes oder die Koronare Herzkrankheit. Für diese Erkrankungen wurden in genom-weiten Assoziationsstudien eine Reihe von Risiko-Genen bestimmt, die das Erkrankungsrisiko jeweils um wenige Prozentpunkte erhöhten.

Eine weitere Studie, die auf der Plattform bioRXiv (2017; 10.1101/151225) veröffentlicht wurde, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Michael Snyder vom Stanford Center for Genomics and Personalized Medicine in Palo Alto hat das Genom von 70 gesunden Erwachsenen analysiert: Bei 12 Personen (17 Prozent) wurden ein oder mehrere Gendefekte gefunden, die das Krankheitsrisiko des Trägers beeinflussen. Insgesamt 60 Teilnehmer (89 Prozent) hatten Genmutationen ohne Einfluss auf die Gesundheit: Darunter waren 57 Mutationen für autosomal-rezessive Krankheiten. Bei 21 Personen wurde das APOE e4-Allel gefunden, das das Risiko auf einen Morbus Alzheimer erhöht.

rme

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