Gesichtserkennung: Ein Gehirnbereich wächst auch noch bei Erwachsenen

Jülich – Je älter man wird, desto besser gelingt es Menschen, Gesichter wiederzuerkennen. Denn mit zunehmendem Alter nimmt auch die relative Größe des zuständigen Bereichs im Gehirn zu. Hingegen verzeichnet das Gehirnareal, das dafür zuständig ist, Orte wieder zu erkennen, keinen Zuwachs. Das neue Modell, nachdem sich neue Hirnfunktionen eher durch Ausbreitung als ausschließlich durch Reduktion der Synapsen entwickeln, publizieren Forscher der Stanford University School of Medicine heute in Science (2017; doi: 10.1126/science.aag0311).
Bislang ging man davon aus, dass in der Hirnentwicklung insbesondere das Ausdünnen von Neuronen und Synapsen (englisch: synaptic pruning) im frühen Kindesalter eine Rolle spielt. „Das Gehirn ändert seine Struktur bis weit in die Pubertät hinein. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen unseren Fähigkeiten, Gesichter zu erkennen und der Gewebestruktur“, sagte die Jülicher Neurowissenschaftlerin Katrin Amunts, die Teil des Forschungsteams ist.
Gehirnbereiche, die für die Gesichts- und Ortserkennung zuständig sind, entwickeln sich unterschiedlich. Das ergaben Untersuchungen mittels funktioneller und quantitativer Magnetresonanztomografie (fMRT und qMRT). Die Forscher um Jesse Gomez verglichen die Fähigkeit, sich Gesichter und Orte zu merken, bei 22 Kindern und 25 Erwachsenen. Dabei beobachteten sie, dass der Bereich im Gehirn, der Menschen dabei hilft, sich Gesichter zu merken, mit zunehmendem Alter relativ zum Gesamtvolumen des Gehirns wächst.
Zuständig für die Gesichtserkennung ist der Gyrus fusiformis, eine Gehirnwindung der Großhirnrinde des Schläfenlappens. Im fMRT identifizierten die Forscher um Gomez folgende zuständigen Gehirnareale: Für die Gesichterkennung den ventral temporalen Kortex (VTC) im Gyrus fusiformis, für die Ortserkennung den collateralen Sulcus an der Grenze zum Gyrus fusiformis.
Ihre Ergebnisse bestätigten die Forscher in zehn postmortal entnommenen Proben von Erwachsenen. Sie gehen davon aus, dass nicht allein eine zunehmende Myelinisierung den relativen Zuwachs der Gehirnregion erklären kann. Stattdessen könnte eine Zunahme der Zellkörper und der Dendriten dafür verantwortlich sein. „Wir denken, dass sich die Dendriten, die die Informationen aus vielen Hirnregionen sammeln und zu den einzelnen Nervenzellen bringen, besonders stark in der Hirnregion für die Gesichtserkennung entwickeln“, sagt Amunts. Sie geht zudem davon aus, dass ähnliche Wachstumsprozesse auch in anderen Bereichen wie dem Sprachzentrum ablaufen. Schließlich entwickelten sich die sprachlichen Fähigkeiten ebenfalls über einen längeren Zeitraum.
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