Gesundes Altern: Höhere Vitamin D-Dosis kann Sturzrisiko erhöhen

Zürich – Der Versuch, die körperliche Fitness älterer Menschen durch eine hochdosierte Behandlung mit Vitamin D zu verbessern, ist in einer randomisierten klinischen Studie im JAMA Internal Medicine (2016; doi: 10.1001/jamainternmed.2015.7148) gescheitert. Die körperliche Leistungsfähigkeit wurde durch hohe Dosierungen tendenziell verschlechtert und es kam sogar vermehrt zu Stürzen.
Weil Vitamine lebensnotwendig sind, wird ihnen häufig eine lebensverlängernde Wirkung zugeschrieben. Da die Aufnahme aus unterschiedlichen Gründen im Alter nachlässt, gelten Senioren als Zielgruppe für eine Substitution. Das Beispiel der antioxidativen Vitamine zeigt, dass die Erwartungen, die sich auf Plausibilitätsüberlegungen und epidemiologischen Studien gründen, nicht der klinischen Realität entsprechen müssen.
Randomisierte klinische Studien haben gezeigt, dass Beta-Carotin, Vitamin E und auch das Spurenelement Selen nicht vor Krebs schützen, sondern unter Umständen das Erkrankungsrisiko sogar erhöhen. Jetzt könnten sich die Erfahrungen mit Vitamin D wiederholen. Beobachtungsstudien zeigen, dass viele ältere Menschen eine niedrige Vitamin D-Konzentration haben und dass dieser Mangel mit einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit einher geht. Eine Folge ist ein erhöhtes Knochenbruchrisiko.
Der „Zurich Disability Prevention Trial“ (ZDPT) hat untersucht, ob eine aggressive Vitamin D-Substitution eine beschleunigte Fragilität im Alter verhindern kann. Insgesamt 200 Senioren im Alter von über 70 Jahren, die in den zwölf Monaten vor Studienbeginn mindestens einmal gestürzt waren, aber noch selbstständig zu Hause lebten, wurden nach dem Zufallsprinzip drei Behandlungsgruppen zugeordnet: Eine Gruppe erhielt einmal pro Monat die Standarddosis von 24.000 IE Vitamin D, die zweite Gruppe erhielt einmal pro Monat 60.000 IE Vitamin D, und die dritte Gruppe erhielt einmal pro Monat 24.000 IE Vitamin D plus 300 µg Calcifediol, eine Vorstufe von Vitamin D.
Bei Beginn der Studie lag das Durchschnittsalter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei 78 Jahren, und 58 Prozent hatten einen Vitamin-D-Mangel mit 25-Hydroxyvitamin D Blutwerten unter 20 ng/ml. Die primären Endpunkte der Studie waren zum einen das Erreichen eines Vitamin D-Spiegels von 30 ng/ml, der als optimal angesehen wird. Ein Mangel liegt bei einem Abfall auf unter 20 ng/ml vor. Der zweite primäre Endpunkt war eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit in den Beinen, die mit der „Short Physical Performance Battery“ (SPPB), einem Standardtest der Physiotherapie, bestimmt wurde. Ein sekundärer Endpunkt war die Zahl der Stürze.
Wie das Team um Heike Bischoff-Ferrari vom Universitätsspital Zürich berichtet, erreichten unter der niedrigen Dosierung 54 Prozent der Teilnehmer die angestrebten Vitamin D-Spiegel von 30 ng/ml oder mehr, unter der höheren Dosierung waren es 81 Prozent und unter der Kombination sogar 84 Prozent.
Doch der biochemische Erfolg wurde nicht durch eine verbesserte körperliche Fitness der Senioren belohnt. Die Unterschiede im SPPB waren gering und eine erhöhtes Vitamin D-Konzentration war keineswegs mit einem verbesserten Ergebnis in dem Test verbunden, der Balance, Gehvermögen und das Aufrichten auf einem Stuhl misst. Tatsächlich erzielte die Gruppe mit der Standardtherapie aus 24.000 IE pro Monat die tendenziell besten Ergebnisse (die Unterschiede waren jedoch statistisch nicht signifikant). Auch der Anteil der Senioren, die mindestens einen Sturz erlitten hatten, war in dieser Gruppe mit 47,9 Prozent niedriger als nach einer Substitution mit monatlich 60,000 IE Vitamin D, wo 66,9 Prozent der Senioren im Verlauf der 12-monatigen Studie stürzten, oder in der Kombinationstherapie aus 24,000 IE Vitamin D plus Calcifediol), wo es 66,1 Prozent waren.
Dies ist ein Ergebnis, das die Autoren nicht erwartet hatten. Ihr Fazit lautet, dass eine Vitamin D-Substitution über die Grenze zum Mangel hinaus vermutlich keinen Vorteil hat. Den Ärzten rät Bischoff-Ferrari, sich an die gängigen Empfehlungen zu halten, die eine tägliche Einnahme von 800 IE Vitamin D oder von 24.000 IE im Monat vorsehen.
Allerdings hatte die Studie keinen Placebo-Arm, so dass offen bleibt, ob eine Substitution überhaupt Vorteile bringt. Steven Cummings vom California Pacific Medical Center Research Institute in San Francisco weist im Editorial auf zwei Negativstudien zu dieser Frage hin: In der ersten hatten Kirsti Uusi-Rasi von der Universität Tampere in Finnland durch die Gabe von 800 IE Vitamin D pro Tag weder die körperliche Funktion noch das Sturzrisiko senken können, während ein Balance-Training der Senioren sich als effektiv erwies (JAMA Internal Medicine 2015; 175: 703-11).
In der zweiten Studie hatten Karen Hansen von der University of Wisconsin in Madison und Mitarbeiter vergeblich versucht, mit einer täglichen Substitution von 800 IE Vitamin D die körperliche Funktion von postmenopausalen Frauen unter 75 Jahren zu verbessern und ihr Sturzrisiko zu vermindern (JAMA Internal Medicine 2015; 175: 1612-1621).
Mit Spannung werden jetzt die Ergebnisse der amerikanischen VITAL-Studie und der europäischen DO-HEALTH-Studie erwartet. Beide untersuchen die in der ZDPT-Studie eingesetzte Hoch-Dosis-Substitution, wenn auch in einer täglichen statt monatlichen Dosierung.
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