Ausland

Giftschlangen: Weltweiter Engpass bei Gegengift

  • Mittwoch, 23. August 2017
Kapkobra, Suedafrika /www.bitis.de, stockadobecom
Kapkobra, Suedafrika /www.bitis.de, stock.adobe.com

Genf – Millionen Menschen werden jedes Jahr von giftigen Schlangen gebissen. Etwa 100.000 sterben daran. Das Fatale: Es gibt kaum noch wirksames Gegengift. Die Welt­gesundheitsorganisation WHO will jetzt für Abhilfe sorgen.

„In vielen Ländern gibt es keine eigene Qualitätsprüfung für Medikamente“, erklärte Micha Nübling, Leiter der zuständigen WHO-Abteilung. In der Vergangenheit seien manche Märkte in Afrika über Jahre mit kaum wirksamen Gegengiftmedikamenten aus Asien überschwemmt worden, die nicht halfen. Das habe den Markt zerstört. Der einzige Hersteller eines wirksamen Produkts, das gegen Bisse von Schlangen in Afrika hilft, die französische Firma Sanofi, stellte die Produktion 2014 ein. „Insbesondere in Afrika südlich der Sahara gibt es große Engpässe“, sagte Nübling.

Todesrate gestiegen

Dabei ist Gegengift nicht gleich Gegengift. Wenn ein asiatischer Taipan zubeißt, hilft nur ein Mittel, das aus den Giftkomponenten derselben Tierart hergestellt wurde. Serum aus dem Gift indischer Nattern bewirkt in Afrika hingegen wenig. „In Ghana hat ein indisches Produkt 2004 das französische ersetzt und die Todesrate durch Schlan­gen­bisse stieg um das Sechsfache“, sagte der Schlangenexperte David Williams, Leiter der australischen Schlangengiftforschung.

In Afrika ist das Problem besonders groß, weil es kein einziges adäquates Mittel gibt. Bis zu 30.000 Menschen sterben jedes Jahr an Schlangenbissen. Indien ist auch in Nöten, da wird zwar Gegengift hergestellt, aber: „Viele Produkte sind von zweifelhafter Qualität“, so Williams. Mindestens 50.000 Menschen sterben dort im Jahr nach Schätzungen.

WHO arbeitet an Richtlinien

Die WHO hat Schlangenbisse zwischenzeitlich auf die Liste der vergessenen tropischen Krankheiten gesetzt. Das soll die Aufmerksamkeit für die Misere erhöhen und zu mehr Investitionen reicher Ländern in die Unterstützung von Lösungen bringen. Zudem arbeitet die WHO an Richtlinien für die sichere Produktion wirksamer Mittel und lässt nun auch selbst Mittel testen. Sie sind polyvalent, das heißt, sie sollen gegen die Bisse möglichst vieler Giftschlangen in Afrika südlich der Sahara wirken.

„Die erste Phase der Labortestung ist abgeschlossen, als nächstes stehen Tests auf Wirksamkeit bei Mäusen an“, sagte Nübling. Sobald die WHO Mittel mit ihrem Güte­stempel versieht, sollte die Produktion anlaufen und die Skepsis in der Bevölkerung überwunden werden. Zwölf Monate könnte es aber noch dauern, bis die Produktion läuft, meint Nübling.

Ein Kriterium für die nachhaltige Produktion: Der Hersteller braucht große Pferde­herden. Giftschlangen werden gemolken, und mit den Giftkomponenten werden Pferde infiziert. Sie sterben daran nicht, bilden aber Antikörper, die bei der Blutentnahme gewonnen und für das Gegengift für Menschen verwendet werden. Manche Impfstoffe würden auch schon mit Hilfe „humanisierter Kühe“ gewonnen, sagt Nübling. Bei diesen Kühen seien Gene für das Immunsystem durch menschliche Gene ausgetauscht worden. Mit diesen Tieren liefen in den USA vielversprechende Impfstofftests. Für die großen Mengen Schlangengift, die benötigt werden, sei das aber keine Alternative.

In Deutschland gibt es nur zwei giftige Schlangen, die Kreuzotter und die Aspisviper. Auch hier habe ein langjähriger Lieferant aus Kroatien die Produktion eingestellt, sagte Florian Eyer, Chefarzt für Klinische Toxikologie am Klinikum rechts der Isar und Leiter des Giftnotrufs München. Ein polnisches Produkt sei aber auch recht wirksam. „Bei den deutschen Schlangen ist das Antiserum ohnehin nicht lebensrettend, sondern eher heilungsunterstützend“, sagte er. Der Giftnotruf hält auch Seren parat, falls jemand in einem Zoologischen Garten oder von exotischen Giftschlangen im eigenen Terrarium gebissen wird.

dpa

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