Medizin

Globale Trends: Mehr Adipositas, weniger Blutdruck, Cholesterin gleichbleibend

  • Freitag, 4. Februar 2011
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London/Boston – Die Zahl der fettleibigen Menschen hat sich in den letzten drei Jahrzehnten weltweit verdoppelt. Die Adipositas-Epidemie hat längst auf Länder mittlerer und niedriger Wirtschaftsleistung übergegriffen. In den reichen westlichen Ländern ist es gelungen, mit dem systolischen Blutdruck und dem Cholesterinwert zwei weitere kardiale Risikofaktoren zu stabilisieren oder sogar zu senken.

Adipositas, Hypertonie und Hypercholesterinämie sind die wichtigsten Risikofaktoren für den Typ-2-Diabetes mellitus und für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jedes Jahr sterben 3 Millionen Menschen an den Folgen des Übergewichts, 7 Millionen an den Folge­krank­heiten der arteriellen Hypertonie, und erhöhte Cholesterinwerte sind jährlich für 4,4 Millionen Todesfälle verantwortlich, berichtet das Team um Majid Ezzati vom Imperial College London und Goodarz Danaei von der Harvard School of Public Health in Boston.

Alle drei Risikofaktoren sind modifizierbar, und ihre Vermeidung hätte deutliche Auswirkungen auf die Morbidität und Mortalität der Weltbevölkerung. Die Epidemiologen haben deshalb in drei Publikationen Zahlen zur Entwicklung der Prävalenz der drei Risikofaktoren ermittelt. Sie stützen sich dabei zumeist auf Zahlen der Weltgesund­heitsorganisation, die jetzt erstmals zusammengetragen wurden.

Sie zeigen: Erstens: Der Body-Mass-Index ist zwischen 1980 und 2008 pro Dekade um 0,4 kg/m2 bei den Männern und im 0,5 kg/m2 bei den Frauen gestiegen. Im Jahr 2008 hatten 9,8 Prozent der Männer und 13,8 Prozent der Frauen einen BMI über 30 kg/m2 und waren damit adipös. 1980 waren es mit 4,8 Prozent der Männer und 7,9 Prozent der Frauen nur halb so viele.
 

Es gibt Unterschiede von Region zu Region. Am dicksten sind die Menschen auf den Inseln des Pazifiks. Dort liegt der mittlere BMI bei 34-35 kg/m2. Das ist 70 Prozent mehr als in einigen Ländern Südostasiens, wo die Menschen traditionell schlanker sind, und im Afrika südlich der Sahara, wo viele nicht genug zu essen haben.

Unter den Ländern mit höherem Einkommen haben die US-Amerikaner den höchsten BMI: Er liegt bei Männern und Frauen im Durchschnitt über 28 kg/m2. Übergewicht ist damit in den USA zur Normalität geworden. Und ein Ende des Trends ist nicht abzusehen. In den USA steigt der BMI pro Dekade um mehr als 1 kg/m2. Wohlstand ist allerdings nicht automatisch gleichbedeutend mit Adipositas: In Japan liegt der BMI bei 22 kg/m2 (Frauen) und bei 24 kg/m2 (Männer).

Deutschland tendiert bei diesem Vergleich eher in Richtung US-amerikanischer Verhältnisse: Männer hatten 2008 einen Durchschnitts-BMI von 27,2, Frauen von 25,7. 1980 lagen die Werte noch bei 25,5 beziehungsweise 25,1. Den höchsten BMI in Europa haben die türkischen Frauen und die tschechischen Männer (beide um die 28 kg/m2).

Relativ schlank sind dagegen die Schweizerinnen mit einem BMI24 kg/m2. Auch in Belgien, Finnland und Frankreich ist der BMI in den letzten drei Jahrzehnten nicht gestiegen, bei den Italienerinnen kam es sogar zu einem Rückgang (Lancet 2011; doi: 10.1016/S0140-6736(10)62037-5).

Systolische Blutdruck
Zweitens: Im Gegensatz zum BMI ist der systolische Blutdruck der Weltbevölkerung leicht rückläufig. Global errechnen die Epidemiologen einen Rückgang von 0,8 mm Hg pro Dekade für die Männer und 1,0 mm Hg pro Dekade für die Frauen.

Doch dieser Trend ist global nicht einheitlich: Während es in Europa und Australasien zu einem Rückgang um 3,5 mm Hg pro Dekade bei den Frauen und in Nordamerika um 2,8 mm Hg pro Dekade bei den Männern kam, nimmt der systolische Blutdruck in Ozeanien, Ostafrika sowie in Süd- und Südostasien zu. Bestimmende Faktoren sind der Salzkonsum, der (geringe) Verzehr von Obst und Gemüse, die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas sowie die (unzureichende) antihypertensive Therapie.

Die höchsten systolischen Blutdruckwerte haben die Bewohner im Baltikum und Westafrika, wo der Durchschnittswert bei 135 mm Hg für Frauen und 138 mm Hg für Männer liegt. Dies entspricht den Durchschnittswerten einiger westeuropäischer Ländern in den 1980er Jahren.

In Südkorea, Kambodscha, Australien, Kanada und die USA haben Frauen im Durchschnitt einen systolischen Blutdruck von unter 125 mm Hg, Männer von unter 120 mm Hg. Von allen Industrieländern sind die Blutdruckwerte in Portugal, Finnland und Norwegen am höchsten. Auch in Deutschland sind die systolischer Blutdruckwerte bei Männern mit 133 mm Hg und 125 mm Hg eher zu hoch (Lancet 2011; doi: 10.1016/S0140-6736(10)62036-3).

Cholesterinwerte
Drittens: Die Cholesterinwerte haben sich in den letzten drei Jahrzehnten kaum verändert. Das altersstandardisierte Gesamtcholesterin lag 2008 bei 4,64 mmol/l für Männer und 4,76 mmol/l für Frauen. Das ist ein Rückgang gegenüber 1980 von weniger als 0,1 mmol/l pro Dekade für beide Geschlechter. Am höchsten sind die Werte in Grönland, Island, Andorra und Deutschland (5,8 mmol/l für und 5,4 mmol/l für Frauen).

In Griechenland, Kanada und Schweden liegen die Werte unter 5 mmol/l, in Afrika sogar unter 4 mmol/l. Dort ist der Verzehr von tierischen Fetten sehr gering. In China steigt er, wie sich auch die vormals günstigen Cholesterinwerte der Bevölkerung in Singapur und Japan langsam dem industriellen Westen anzunähern scheinen (Lancet 2011; doi: 10.1016/S0140-6736(10)62038-7).

Im Kommentar sprechen Salim Yusuf und Sonia Anand vom Population Health Research Institute an der McMaster Universität in Hamilton in Kanada von einem globalen Tsunami, der auch die letzten Ecken letzten Endes alle Regionen der Welt überspüle.

Die Betroffenen Länder werden aufgefordert, Maßnahmen zur Modifikation der drei Risikofaktoren zu treffen, was bereits innerhalb weniger Jahre zu einer Reduktion kardiovaskulärer Erkrankungen führen könnte 2011; doi: 10.1016/S0140-6736(10)62346-X.)

rme

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