Blick ins Ausland

„Gott ist mit den Geduldigen“ – Ein Reisebericht aus Afghanistan

  • Dienstag, 26. April 2005

In Deutschland an ein funktionierendes Gemeinwesen und ein kompetentes, hocheffizientes Medizinsystem gewöhnt, kann ein Besuch Afghanistans durchaus einen dramatischen Eindruck hinterlassen. Mehr als 25 Jahre Krieg und Bürgerkrieg haben bei den Menschen Spuren hinterlassen. Bis eine Zivilgesellschaft entstanden ist, werden sicher Jahrzehnte vergehen. Das größte Problem dabei dürfte die Analphabetenrate von mehr als 90 Prozent darstellen. Einer ganzen Generation Jugendlicher fehlen Lehrer, die sie ausbilden. Trotzdem – wie mir Bruder Reto von der Christusbruderträgerschaft, der seit 32 Jahren ununterbrochen in Afghanistan lebt, versichert –, hat sich in den vergangenen zwei Jahren mehr verändert als in den 30 Jahren zuvor. Die Menschen haben wieder Hoffnung und sind begierig darauf zu lernen. Das bestätigt mir auch Dr. Jean Claude Voisin von der Außenstelle der Deutschen Botschaft in Herat. In der Stadt gibt es inzwischen einen Literaturkreis, und auch in den umliegenden Dörfern finden Literaturabende statt. Das erste Theaterfestival wurde auf dem Campus der Universität in Kabul veranstaltet.

Vom Gesundheitswesen in Afghanistan verschaffe ich mir durch den Besuch mehrerer Krankenhäuser in Kabul und Herat und in vielen Gesprächen mit Kollegen ein umfassendes Bild. Leishmaniose, Tuberkulose, Typhus, Malaria, Echinoccocus sind gängige Erkrankungen; Ausdruck auch der hygienischen Situation, denn es gibt keine Kanalisation, und der Fluss Kabul ist eine Kloake. Überraschenderweise haben Probeanalysen ergeben, dass die Brunnen nicht belastet sind, so die Auskunft im Feldlazarett der ISAF-Truppe in Camp Warehouse in Kabul. Leprafälle treten nach Angaben von Bruder Jaques von der Christusbruderträgerschaft kaum noch auf. Während meines Aufenthalts berichtet der Gesundheitsminister von 500 Neuerkrankungen an Kinderlähmung in Kabul im letzten Jahr. Nieren- und Blasensteine sind weit verbreitet, in Herat gibt es mittlerweile in einer Privatklinik den ersten Lithotripter. Ösophaguskarzinome treten offenbar gehäuft auf, auch schon bei jungen Frauen, berichtet der deutsche Arzt Prof. Dr. med. Martin Wienbeck, der am Lehrkrankenhaus Ali Abad der Universität Kabul eine Endoskopie-Einheit aufgebaut hat. Er lebt mehrere Monate im Jahr in Afghanistan und bildet afghanische Kollegen aus. Das Ösophaguskarzinom wird rein palliativ mit Stents behandelt, eine chirurgische Therapie oder eine onkologische Radiochemotherapie sind in Afghanistan nicht realisierbar. Eine Erklärung für das gehäufte Auftreten des Ösophaguskarzinoms gibt es bisher nicht.

Das Ali Abad Krankenhaus verfügt über zwei OP-Säle und leidet an einer ausgeprägten Enge, die Hygienesituation ist grenzwertig. Die diagnostischen Möglichkeiten sind begrenzt, die Klärung findet häufig auf operativem Wege statt. In die Versorgung der Patienten sind Familienangehörige mit eingebunden. Da die Stromversorgung unzuverlässig ist, kann es vorkommen, dass während einer OP der Strom ausfällt, ein Notstromaggregat gibt es nicht.

Das Militärkrankenhaus in Kabul hat 400 Betten und hält die Disziplinen Chirurgie (Gefäße, Thorax, Trauma, Neurochirurgie) und Innere (Allgemein, Gastroenterologie) vor. Es wurde von den Sowjets gebaut und unterstützt. Während des Krieges war es mit bis zu 1 000 Patienten belegt, erläutert der Chef der Allgemeinchirurgie Prof. Dr. B. Nijrabi. Das Militärkrankenhaus ist besser ausgestattet. Doch auch hier gibt es keine Intensivstation mit Nachbeatmungsmöglichkeiten. In Kabul wird ein CT privat betrieben – es ist das einzige in Afghanistan. Medizinisch Technische Assistenten bedienen es. Die Daten werden per Internet nach Pakistan geschickt und dort begutachtet. Der Befund kommt dann nach einer Woche.

Die Christusbruderträgerschaft betreibt in Kabul zwei kleine, sehr aktive Tageskliniken – in der einen werden Leishmaniose-Patienten behandelt, in der anderen Tuberkulose- und Epilepsiekranke. Beide Tageskliniken sind in der Bevölkerung sehr akzeptiert.

Mit Kam-A

Prof. Dr. Dr. Ernst Hanisch

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