Grippe
Die Muskeln schmerzen, die Nase läuft, das Gesicht hat das gefühlte Ausmaß eines Elefanten, der unglücklicherweise mit seinem Rüssel in einen Knoten geraten ist. Um nicht eine Kaskade intensiver virologischer Diagnostik loszutreten und trotzdem die Chancen auf einen sekundären Krankheitsgewinn zu wahren, mache ich meiner besseren Hälfte weis, es würde sich um eine Gemüsegrippe handeln, also nur der intensiven symptomatischen Zuwendung bedürfen.
Dies nimmt sie leider sehr ernst, es läuft das volle antivirale Programm an, zuerst die Verbannung in die Horizontale. Ich protestiere unter dem Hinweis, dass in einer Metaanalyse von 24 Studien bei Patienten, die nach einer Lumbalpunktion, Spinalanästhesie oder Herzkatheteruntersuchung Bettruhe hielten, die Rate an Komplikationen in acht Studien signifikant erhöht war. Laut Lancet 1999; 354: 1229–33.
Trotz dieser ernstzunehmenden Literaturstelle werde ich ins Bett gesteckt und darüber hinaus für eine angedrohte Dauer von 48 Stunden entmündigt. Damit ich die vielfältigsten Formen antiviraler Gegenschläge über mich ergehen lassen muss: Kamillendampfbäder, die meine verquollenen Gesichtszüge in pures Entsetzen entgleiten lassen. Literweise Erkältungstees, deren Ingestion man eigentlich nur überleben kann, wenn man über eine äußerst robuste Gesundheit verfügt. Entzug meiner Lieblingslektüre und des Saxophons, dies unter dem Hinweis, dass inadäquate Anstrengungen den Heilungsprozess verzögern.
Während ich im Bett liege, abgeschnitten vom W-LAN und Musikinstrumenten, eingekesselt zwischen vielen Kannen Tee, hadernd mit der Virusreplikation, kreisen die Gedanken um die Frage, warum therapeutische Maßnahmen mitunter grausamer sind als die Erkrankung selbst; warum Pillen immer bitter sein müssen und Gesundheitstees ungenießbar. So allmählich, etwa in den Tempo wie meine Nasenschleimhaut abschwillt, komme ich auf den Grund: Es ist der sekundäre Krankheitsgewinn, der ausgetrieben werden soll, nicht die Krankheit.
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