Heroinabhängiger erhält in bayerischem Gefängnis keinen Ersatzstoff
Straßburg – Weil ein Heroinabhängiger im Gefängnis keine Behandlung mit Ersatzstoffen erhielt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Deutschland wegen Verstoßes gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung verurteilt. Die Straßburger Richter gaben mit ihrem Urteil am Donnerstag einem 61-jährigen Deutschen Recht, der zuvor vergeblich durch alle Instanzen in Deutschland gezogen war.
Der Mann ist seit seinem 18. Lebensjahr heroinabhängig. Bevor er 2008 in Bayern wegen Drogenhandels festgenommen und zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, wurde er seit 1991 mit Ersatzstoffen wie etwa Methadon therapiert. Nach einem sechsmonatigen Entzug in einer Drogenklinik wurde der Mann in ein Gefängnis im bayerischen Kaisheim verlegt.
Dort wurden seine Anträge auf eine Substitutionsbehandlung abgewiesen – obwohl ein von der Gefängnisleitung eingeschalteter Arzt zu dem Schluss kam, diese könnte seine chronischen Schmerzen lindern. Die Behörden argumentierten unter anderem, das Bayerische Strafvollzugsgesetz sehe eine solche Therapie nicht vor. Der Mann zog bis zum Bundesverfassungsgericht, das seine Klage im Jahr 2013 aber nicht annahm. Seit seiner Haftentlassung 2014 erhält er wieder eine Ersatztherapie.
Nach Auffassung des Gerichtshofs für Menschenrechte muss ein Staat dafür sorgen, dass die Gesundheit von Häftlingen angemessen geschützt wird. Nach den Normen des Europarats müssten Insassen von Gefängnissen den gleichen Zugang zu ärztlicher Behandlung erhalten wie die übrige Bevölkerung, heißt es in dem Urteil. Im übrigen seien in 30 der 47 Europaratsländern für drogenabhängige Häftlinge Substitutionstherapien möglich. Dies sei auch in mehreren deutschen Bundesländern der Fall.
Im vorliegenden Fall hätten die bayerischen Behörden der ärztlichen Empfehlung, dem Häftling zur Linderung seiner Schmerzen einen Ersatzstoff zu gewähren, nicht Rechnung getragen, urteilte das Gericht. Damit habe Deutschland gegen den Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, der Folter und unmenschliche Behandlung verbietet.
„Wir werden die Entscheidung zum Anlass nehmen, die Anstalten nochmals zu sensibilisieren, um so künftig in vergleichbaren Konstellationen eine noch bessere Prüfung des jeweiligen Einzelfalls zu gewährleisten”, kommentierte eine Sprecherin des Justizministeriums in München am Donnerstag die Entscheidung des Menschengerichtshofs.
Das Urteil wurde von den sieben Richtern einer kleinen Kammer einstimmig gefällt. Dagegen kann die Bundesregierung binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann an die 17 Richter der Großen Kammer verweisen – er muss dies aber nicht tun.
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