Herzinfarkt: Studie sieht Vorteile für Stents in nicht vom Infarkt betroffenen Koronarien

Rotterdam – Die zusätzliche Behandlung von Stenosen, die nicht für den Herzinfarkt verantwortlich sind, hat in einer randomisierten Studie an Patienten mit STEMI die Zahl der später notwendigen Revaskularisierungen gesenkt. Die Behandlung, die die verminderte fraktionelle Flussreserve zum Kriterium für die Platzierung eines Stents machte, hat die Dauer der perkutanen koronaren Intervention kaum verlängert und könnte deshalb kosteneffektiv sein. Die Studienergebnisse wurden auf der Jahrestagung des American College of Cardiology in Washington vorgestellt und im New England Journal of Medicine (2017; doi: 10.1056/NEJMoa1701067) publiziert.
Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) werden heute möglichst rasch mit einem Stent versorgt. Die Fachgesellschaften in Nordamerika und Europa empfehlen, nur die für die Myokardischämie verantwortliche Stenose zu versorgen. Viele Patienten haben jedoch eine Mehrgefäßerkrankung mit Stenosen in mehr als einem Gefäß. Die Beschränkung auf einen Stent wurde zunächst mit Sicherheitsargumenten begründet. Die Dilatation des Koronargefäßes, die der Implantation des Stents vorausgeht, ist mit einer kurzzeitigen Unterbrechung der Durchblutung verbunden. Dies könnte für Patienten, die nach dem Verschluss einer Koronararterie eine schwere Ischämie erlitten haben, gefährlich werden.
Inzwischen sind die Kardiologen mutiger geworden. Viele betrachten die Versorgung mehrerer Gefäße auch bei einem STEMI als sicher. Doch ob diese zusätzliche Platzierung von Stents für die Patienten vorteilhaft ist, ist umstritten. Die „CompareAcute“-Studie hat die Sicherheit und Effektivität der erweiterten Stent-Implantation untersucht. In 24 Zentren in Europa (mit deutscher Beteiligung) und Asien wurden 885 Patienten mit STEMI auf zwei Gruppen randomisiert. In der ersten Gruppe wurde, wie in den Leitlinien vorgesehen, nur ein Stent in der Koronarie implantiert, deren Verschluss den Herzinfarkt ausgelöst hat.
In der zweiten Gruppe wurde untersucht, ob in weiteren Koronarästen klinisch relevante Stenosen vorlagen. Die Indikation richtete sich nach der fraktionellen Flussreserve. Es handelt sich um den Quotienten aus den Blutdrücken hinter und vor der Stenose. Wenn der Wert auf unter 0,80 gefallen war, sollte ein Stent implantiert werden. Um die fraktionelle Flussreserve zu bestimmen, mussten jedoch alle Koronaräste, in denen bei der Durchleuchtung eine mehr als 50-prozentige Stenose erkennbar war, katheterisiert werden. Dies ist nicht unproblematisch, da es kurzzeitig zu einer Ischämie kommen kann.
Primärer Endpunkt der Studie war ein Composite aus Tod, nicht-tödlichem Myokardinfarkt, Revaskularisierung und zerebrovaskulären Ereignissen in den folgenden zwölf Monaten. Wie Pieter Smits vom Maasstad Ziekenhuis in Rotterdam und Mitarbeiter berichten, trat der Endpunkt nach erweiterter Revaskularisierung (im Durchschnitt wurden 1,6 Stents platziert) bei 23 von 295 Patienten (7,8 Prozent) auf gegenüber 121 von 590 Patienten (20,5 Prozent), bei denen nur ein Stent in das für den Infarkt verantwortliche Gefäß platziert wurde. Smith ermittelte eine Hazard Ratio von 0,35, die mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,22 bis 0,55 hoch signifikant war. Dies spricht für eine Ausweitung der Stent-Implantation nach einem STEMI.
Der Vorteil war allerdings in erster Linie auf die Vermeidung späterer Revaskularisierungen zurückzuführen. Sie wurden in der Studiengruppe mit erweiterter Stent-Implantation bei 6,1 Prozent erforderlich. In der Gruppe mit Implantation eines einzigen Stents waren es 17,5 Prozent, bei denen später eine weitere perkutane koronare Intervention notwendig wurde (Hazard Ratio 0,32; 0,20–0,54). Die Unterschiede in den Endpunkten Tod (1,4 versus 1,7 Prozent), erneuter Myokardinfarkt (4,4 versus 4,7 Prozent) und zerebrovaskuläre Ereignisse (0 versus 0,7 Prozent) waren nicht signifikant.
Ein Nachteil der neuen Strategie ist die gesteigerte Komplexität der Herzkatheteruntersuchung. Zwar stieg die Dauer der Intervention nur um sechs Minuten, bei zwei Patienten kam es jedoch bei der Bestimmung der fraktionellen Flussreserve zu schweren Komplikationen. Beide Patienten befanden sich in der Gruppe, in der keine Implantation zusätzlicher Stents erfolgte.(Das Studiendesign sah vor, dass die fraktionelle Flussreserve bei allen Studienteilnehmern bestimmt werden sollte).
Ein weiterer Einwand ist, dass die Studie an einer hoch selektionierten Patientengruppe durchgeführt wurde. Die beteiligten Kliniken hatten nur einen Bruchteil ihrer Patienten in die Studie eingeschlossen.
Die Studie war auch nicht verblindet. Die Kenntnis, dass bei einem Patienten nur ein Stent in der Infarkt-auslösenden Koronararterie platziert wurde, könnte die Entscheidung für eine spätere Revaskularisierung beeinflusst haben, gibt Lars Køber von Reichsspital in Kopenhagen im Editorial zu bedenken.
Endgültige Klarheit wird von der laufenden kanadischen COMPLETE-Studie erwartet, an der bis Ende 2018 insgesamt 3.900 Patienten teilnehmen sollen.
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