HIV: Hormonelle Kontrazeptiva erhöhen Infektionsrisiko
Seattle – Die Benutzung von Depot-Kontrazeptiva, die in Afrika sehr verbreitet ist, verdoppelte in einer Studie im Lancet Infectious Diseases (2011; doi: 10.1016/S1473-3099(11)70247-X) das HIV-Übertragungsrisiko. Eine seltenere Benutzung von Kondomen konnte als Erklärung ausgeschlossen werden.
Etwa 12 Millionen Frauen in Ost- und Südafrika, das sind 6 Prozent der 15 bis 49-Jährigen, verhüten mit Depo-Provera oder anderen injizierbaren Kontrazeptiva. Die dreimonatige Wirkung erspart den Frauen oft lange Wege zu teuren Arztbesuchen und erspart ihnen die Notwendigkeit zur täglichen Einnahme der „Pille“.
Hormonelle Kontrazeptiva schützen allerdings nicht vor einer HIV-Infektion, weshalb die Partner der Teilnehmer in der Prevention HSV/HIV Transmission Study angehalten wurden, Kondome zu benutzten.
Die Studie, deren Ergebnisse auf einer internationalen Aids-Konferenz (IAS 2011) im Juli in Rom vorgestellt wurden, hatte eigentlich das Ziel, den Wert einer Präexpositionsprophylaxe mit antiretroviralen Medikamenten zu untersuchen. Jetzt sorgt ein Nebenbefund für Aufsehen. Renee Heffron von der Universität von Washington in Seattle hat die Verhütungsmethode von 3.790 Paaren mit dem HIV-Infektionsrisiko in Beziehung gesetzt.
An der Studie hatten ausschließlich heterosexuelle Paare teilgenommen, von denen ein Partner mit HIV infiziert war. Bei 1.314 Paaren war dies der Mann. Die Infektionsrate für die Frau betrug 6,61 pro 100 Personen-Jahre, wenn die Frau hormonelle Kontrazeptiva zur Schwangerschaftsverhütung benutzt hatte. Bei den Frauen, die andere Methoden gewählt hatten, betrug die Infektionsrate 3,78 pro 100 Personen-Jahre. Das ergibt eine adjustierte Hazard-Ratio von 1,98, also ein zweifach erhöhtes Risiko durch die hormonelle Kontrazeption.
Ähnlich waren die Ergebnisse bei den 2.476 Paaren, bei denen die Frau zu Studienbeginn HIV-positiv war. Durch eine hormonelle Kontrazeption stieg für ihren Partner die Infektionsrate von 1,51 auf 2,61 pro 100 Personen-Jahre. Die adjustierte Hazard-Ratio betrug hier 1,97.
Die Ergebnisse galten generell für hormonelle Kontrazeptiva. Sie waren aber nur für Depot-Präparate signifikant, möglicherweise weil die Zahl der Frauen, die die „Pille“ einnahmen, gering war.
Die Ergebnisse einer Sekundärauswertung einer Studie, die zu einem anderen Zweck durchgeführt wurde, sind letztlich nicht beweisend. Auch der Grund, warum hormonelle Kontrazeptiva das Übertragungsrisiko erhöhen, sind nicht geklärt. Zu einem Zeitpunkt der Studie waren allerdings die HIV-Konzentrationen in den Genitalsekreten der Frauen untersucht worden. Sie lagen bei Frauen, die eine hormonelle Kontrazeption betrieben, höher, was zumindest das Infektionsrisiko der Männer plausibel erklären könnte.
Die Ergebnisse lassen auch ein weiteres im Juli in Rom vorgestelltes Ergebnis zur gleichen Studie in einem neuen Licht erscheinen. Heffron hatte herausgefunden, dass die Schwangerschaft einer HIV-positiven Frau das HIV-Infektionsrisiko ihres Mannes verdoppelte (Hazard Ratio 2,21). Auch in der umgekehrten Richtung war das Risiko erhöht. Hier war der Zusammenhang nach der Berücksichtigung von anderen Faktoren wie Alter der Frau, ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder hormoneller Kontrazeption nicht mehr signifikant.
Da Kontrazeptiva ähnliche Hormone enthalten, wie sie während der Schwangerschaft im weiblichen Organismus gebildet werden, unterstreicht dieser Befund ein mögliches Infektionsrisiko. Die Autoren betonen allerdings, dass die Studien nicht beweisend sind. Sie warnen auch vor voreiligen Konsequenzen.
Der Verzicht auf eine populäre Form der Kontrazeption könnte zu einem Anstieg von unerwünschten Schwangerschaften führen, die durch eine HIV-Infektion kompliziert würden. Ein Beweis für einen Zusammenhang könnte nur eine erneute randomisierte klinische Studie erbringen. Diese ist allerdings nicht so leicht vorstellbar, da sich wenige Frauen per Los die Wahl ihrer Kontrazeption vorschreiben lassen dürften.
Hinweise auf eine infektionsfördernde Wirkung von hormonellen Kontrazeptiva sind nicht neu. Vor 15 Jahren hatte Preston Marx vom Tulane National Primate Research Center in Louisiana in Nature Medicine (1996; 2: 1084-1089) berichtet, dass subkutane Depot-Kontrazeptiva bei Makaken das Risiko einer SIV-Infektion um den Faktor 7,7 erhöhen. SIV (für Simian immunodeficiency virus) ist das Pendant zu HIV bei Affen. Die Forscher hatten die gesteigerten Infektiosität damals auf die Verdünnung der vaginalen Mukosa unter dem Einfluss von Gestagenen zurückgeführt.
Gestagene steigern außerdem die Zahl von Langerhans-Zellen in der Schleimhaut, die als antigen-präsentierende Zelle (s. Nobelpreis 2011) eine Eintrittspforte für die Retroviren bildet. Schließlich könnte auch eine Veränderung der vaginalen Flora eine Rolle spielen. Unter Gestageneinfluss nimmt die Konzentration von Milchsäurebakterien ab, deren Produktion von Sauerstoffperoxid die Infektiosität der Viren herabgesetzt haben könnte.
Wie Nature berichtet, will die Weltgesundheitsorganisation im nächsten Jahr ein Expertentreffen einberufen. Zur Debatte steht die derzeitige Empfehlung der WHO für Depot-Kontrazeptiva. Eine mögliche Konsequenz der aktuellen Studie könnte sein, dass diese Empfehlung für HIV-diskordanten aufgehoben wird. Eine frühere Entscheidung ist nicht zu erwarten, da die WHO die Datenlage derzeit als nicht überzeugend einstuft.
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