Medizin

Hypertonie: Renale Denervation enttäuscht in US-Studie

  • Montag, 31. März 2014
Uploaded: 31.03.2014 14:03:40 by mis
dpa

Boston – Zur Überraschung vieler europäischer Kardiologen, die die Behandlung teil­weise bereits als Routine-Therapie betrachten, kommt eine US-Studie zum Ergebnis, dass die renale Denervation den systolischen Blutdruck bei Patienten mit medikamenten-resistenter Hypertonie nicht signifikant stärker senkt als eine Scheinbehandlung. Die ungünstigen Ergebnisse, bereits im Januar angekündigt, wurden jetzt auf der Jahrestagung des American College of Cardiology in Washington vorgestellt und im New England Journal of Medicine (NEJM 2014; doi: 10.1056/NEJMoa1402670) veröffentlicht.

Der von der kalifornischen Firma Ardian entwickelte Simplicity-Katheter hat eine in Vergessenheit geratene chirurgische Therapie als Katheterbehandlung wiederbelebt. Bis in die 1950er-Jahre wurde bei Patienten mit maligner Hypertonie eine diaphragmatische Splanchniektomie durchgeführt: Die Chirurgen durchtrennten unterhalb des Zwerchfells Fasern des sympathischen Nervensystems, was zu einer Blutdruckabnahme von 50 bis 70 mm Hg führte und die Sterblichkeit der Patienten verminderte.

Mit der Einführung wirksamer Antihypertensiva kam der ungezielte invasive Eingriff, der mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden war, außer Mode. Dabei schaffen es trotz einer Vielzahl angebotener Wirkstoffe etwa 5 bis 15 Prozent aller Hypertoniker auch mit drei oder mehr Medikamenten nicht, ihre Zielwerte zu erreichen.

Der Simplicity-Katheter erspart den Patienten eine Operation. Der Ablationskatheter wird von interventionellen Kardiologen unter Röntgendurchleuchtung von der Leiste in die Nierenarterie vorschoben. Beim Zurückziehen wird die Gefäßwand an etwa 4 bis 6 Punk­ten durch Hochfrequenzstrom (maximal 8 Watt für 2 Minuten) kurzzeitig auf 50 bis 70 Grad Celsius erwärmt.

Dies soll sympathische Nervenfasern veröden, die in der Adventitia, also in unmittelbarer Umgebung der Arterie verlaufen. Die Behandlung  dauert etwa 40 bis 60 Minuten und gilt als komplikationsarm. Die blutdrucksenkende Wirkung tritt nach einigen Tagen auf und verstärkt sich nicht selten in den folgenden Monaten.

In der ersten „Proof-of-Principle“-Studie (Symplicity HTN-1) – noch ohne Vergleichs­gruppe – kam es nach der renalen Denervation zu einer signifikanten systolischen Blutdrucksenkung um 14 mm Hg, die sich in den ersten 12 Monaten auf 27 mm Hg steigerte (Lancet 2009; 373; 1275-1281). Die kürzlich vorgestellten 3-Jahres-Ergebnisse zeigen sogar einen Rückgang um 32,0/14,4 mm Hg. Insgesamt 93 Prozent erzielten nach 36 Monaten einen Rückgang um mindestens 10 mm Hg. Bei einem Patienten wurde eine Nierenarterienstenose diagnostiziert (Lancet 2014; 383: 622-629).

Die Folgestudie Symplicity HTN-2 hatte erstmals eine randomisierte Kontrollgruppe, in der die medikamentöse Therapie fortgesetzt wurde. Die renale Denervation steigerte die blutdrucksenkende Wirkung der Medikamente noch einmal um 32 mm Hg systolisch. Bei einem der 52 Patienten wurde nach der Katheterbehandlung eine Beschleunigung der Atherosklerose in der behandelten Nierenarterie beobachtet (Lancet 2010; 376: 1903-1909).

Aufgrund der günstigen Wirkung stieß die renale Denervation weltweit auf Zustimmung. In einer Pressemitteilung der American Heart Association wurde 2012 sogar über eine Ausweitung der Indikation auf Patienten mit milder Hypertonie nachgedacht, bei denen die renale Denervation vielleicht die Aussicht auf eine „Heilung“ der arteriellen Hyper­tonie biete. In Europa und in Australien begannen zahlreiche Zentren die Therapie anzubieten.

Die European Society of Cardiology stufte sie in einer Leitlinie jüngst als evidenzbasiert (Klasse I Level C) ein, empfahl aber, die renale Denervation auf Behandlungszentren zu beschränken, bis längerfristige Erfahrungen vorliegen (European Heart Journal 2013; 34: 2159-219). In Deutschland sprach sich bereits 2011 ein Expertengremium für die Einführung der Therapie aus (DMW 2011; 136: 2418ff). Als Einschlusskriterium gilt ein anhaltend hoher Blutdruck mit systolischen Werten über 160 mm Hg trotz der medika­mentösen Therapie mit mindestens drei unterschiedlichen Wirkstoffen.

In Deutschland gehörte das Universitätsklinikum des Saarlandes zu den Vorreitern. Die Klinik hat nach eigenen Angaben weltweit die meisten Patienten mit dem neuen Verfahren behandelt. Aber auch außerhalb der universitären Zentren wird die Therapie angeboten. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie mit anderen Fachgesellschaften sah sich kürzlich veranlasst, eine Leitlinie zur Zertifizierung von „Renalen-Denervations-Zentren (RDZ)“ herauszugeben (Kardiologe 2013; 7: 429-434), die in diesem Jahr inkrafttreten sollte.

Allgemein wurde erwartet, dass die Symplicity HTN-3-Studie die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Studien bestätigen würde. Die Firma Medtronic (die inzwischen Ardian übernommen hat) führte die Symplicity HTN-3-Studie durch, um den Katheter auch in den USA einsetzen zu dürfen. Anders als in Europa können dort Medizinprodukte nicht allein aufgrund einer technischen Prüfung (CE-Zertifikat) eingesetzt werden. Die Kontrollbehörde FDA verlangt den Nachweis von Sicherheit und Nutzen in einer größeren klinischen Studie, in der neue Medizinprodukte zunehmend gegen eine Scheinbehandlung getestet wurden.

Bei der renalen Denervation bestand die Scheinbehandlung in einer Katheterisierung der Nierenarterie. Es wurde aber nach der röntgenologischen Darstellung auf eine Ablation verzichtet. Dieses Vorgehen wurde im Vorfeld als ethisch bedenklich kritisiert, die FDA sieht darin allerdings die beste Möglichkeit, eine Placebo-Wirkung auszu­schließen.

Placebo-Wirkung überraschend stark
Und die Placebo-Wirkung sollte sich in der Studie, die zwischen Oktober 2011 und Mai 2013 an 88 US-Zentren durchgeführt wurde, als überraschend stark erweisen. Sechs Monate nach der scheinbaren Ablation war es bei den 171 Patienten im Kontrollarm der Studie zu einem Rückgang des Blutdrucks um durchschnittlich 11,74 mm Hg gekommen.

Gleichzeitig blieb die Wirkung der renalen Denervation im Therapiearm der Studie hinter den Erwartungen zurück. Wie Deepak Bhatt vom Brigham and Women’s Hospital in Boston und Mitarbeiter berichten, sank der systolische Blutdruck im Durchschnitt „nur“ um 14,13 mm Hg, also weniger stark als in der Symplicity HTN-2-Studie. Der Vorteil gegenüber der Scheinbehandlung betrug nur 2,39 mm Hg, weniger als die von der FDA geforderten 5 mm HG.

Signifikanzniveau nicht erreicht
Bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von minus 6,89 mm HG bis plus 2,12 mm HG wurde das Signifikanzniveau verfehlt. Auch die Unterschiede in der 24-Stunden-Blutdruckmessung sechs Monate nach der Intervention  – minus 6,75 mm Hg nach der renalen Denervation und minus 4,79 mm Hg unter der Scheintherapie, Differenz minus 1,96 mm Hg; minus 4,97 bis 1,06) – waren nicht signifikant.

Immerhin traten keine Sicherheitsprobleme auf. Die renale Denervation hatte keine negative Auswirkung auf die Nierenfunktion – auch nicht bei den Patienten mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate von weniger als 60 ml/min/1,73 m2. Es gab aber auch keine Unterschiede im HbA1c-Wert (eine frühere Studie hatte hier günstige Auswirkungen gesehen). Zur Frage, ob die Therapie langfristig die Bildung atheroskle­rotischer Läsionen fördert, war die Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten zu kurz.

Stark schwankende Wirkung
Die möglichen Gründe für die schwache Wirkung der renalen Denervation dürften in den nächsten Monaten Gegenstand kontroverser Diskussionen sein. Den Editorialisten Franz Messerli vom Mount Sinai Roosevelt Hospital und Sripal Bangalore von der New York University School of Medicine – beide in New York – fielen die stark schwankenden Wirkungen auf.

Bei einigen Patienten scheint tatsächlich eine deutliche Reduktion des systolischen Blutdrucks um 30 mm Hg oder mehr möglich zu sein. Die Diskussion könnte sich deshalb um die Frage drehen, wie diese Patienten ausgewählt werden könnten. Die Subgruppen-Analyse der Studie liefert wenig Hinweise. Die einzige Gruppe mit signifikanter Wirkung waren jüngere Patienten im Alter unter 65 Jahren. Aufgrund des Wirkungsmechanismus (Ausschaltung des Sympathikus) vermuten Messerli und Bangalore, dass Patienten mit Herzinsuffizienz am ehesten profitieren könnten, da bei ihnen der Sympathikotonus erhöht ist.

Die Symplicity HTN-3-Studie wird vermutlich dazu führen, dass der Simplicity-Katheter in den USA nicht zur Therapie zugelassen wird. Auch in Europa dürfte die Begeisterung für die Therapie nachlassen. Der Konkurrent St. Jude Medical aus St. Paul hat übrigens im Dezember eine Studie (EnligHTN IV) mit einem eigenen Katheter zur renalen Denervation abgesagt. Als Grund wurden Probleme bei der Rekrutierung der Patienten genannt.

rme

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