„iAge“: Immunologische Uhr zeigt Lebenserwartung an

Palo Alto/Kalifornien – Der Zustand des Immunsystems hat einen deutlichen Einfluss auf die Lebenserwartung eines Menschen. Dies zeigen die Ergebnisse des „1001 Immunomes Project“ in Nature Aging (2021; DOI: 10.1038/s43587-021-00082-y).
Die Forscher entwickelten einen „iAge“-Score, mit dem sich das immunologische Alter eines Menschen abschätzen lässt. Eine Komponente ist das Zytokin CXCL9, dessen Blockierung – zumindest in Laborexperimenten – die Alterung von Blutgefäßen verzögern konnte.
Immunologen vermuten seit längerem, dass sich das Immunsystem auf Altersvorgänge auswirkt. Auf der einen Seite könnte es „gute“ Immunreaktionen geben, die beispielsweise durch die rasche Bekämpfung von Krankheitserregern das Leben verlängern.
Auf der anderen Seite gibt es „schlechte“ Entzündungsparameter, die das Altern beschleunigen. Dazu könnte das C-reaktive Protein zählen, das häufig bei Menschen mit Hypertonie, Typ-2-Diabetes und auch Adipositas erhöht ist und möglicherweise auf eine beschleunigte Alterung der Blutgefäße hinweist.
Das „1001 Immunomes Project“ versucht, den Einfluss der Immunologie auf das Altern auf einer breiten Basis zu untersuchen. Zwischen 2007 und 2017 wurden Blutproben von 1.001 gesunden Personen im Alter von 9 bis 96 Jahren untersucht.
Am „Human Immune Monitoring Center“ der Stanford Universität wurden eine Vielzahl von Tests durchgeführt. Dazu gehören „HLA-omics“-Analysen (bei denen die HLA-Gene des Immunsystems sequenziert werden), Transkriptom-Analysen (die zeigen, welche Gene aktiv sind), Proteonomics (die die Konzentration möglichst aller Proteine im Blut bestimmen), „functional phenomics“ (die die Funktion der Gene und Proteine systematisch untersucht) sowie immunologische Tests (etwa die Antikörperreaktion auf eine Grippeimpfung).
Die Ergebnisse sollen mit dem Gesundheitszustand der Teilnehmer und ihrer Lebenserwartung in Beziehung gesetzt werden. Der Einfluss einzelner Faktoren soll an Mäusen weiter untersucht werden. Die Fülle der Daten wollen die Forscher mithilfe der künstlichen Intelligenz von Computern bewältigen.
Ein Team um David Furman von der Stanford Universität hat jetzt erste Ergebnisse vorgestellt. Sie betreffen eine Gruppe von etwa 50 Immunsignalproteinen oder Zytokinen, die offenbar Alterungsvorgänge beeinflussen. Die Forscher haben einen Score entwickelt, den sie als „inflammatorische Uhr des Alterns“ oder „iAge“ bezeichnen.
In einer Analyse wurde „iAge“ auf 30 Teilnehmer angewendet, die bei der Blutprobe im Jahr 2010 bereits 65 Jahre oder älter waren. In der Folge füllten die Senioren Fragebögen zur Gebrechlichkeit aus. Sie wurden beispielsweise gefragt, ob sie noch alleine gehen können oder ob sie Hilfe beim Anziehen benötigen. Der immunologische Score war laut Furman in der Lage, eine vorzeitige Gebrechlichkeit der Teilnehmer recht gut zu erkennen.
Als nächstes untersuchten die Forscher Blutproben von Senioren, die in Italien an einer Studie zur Langlebigkeit teilnehmen. Sie verglichen 29 Teilnehmer, die (bis auf einen) ein Alter von 100 Jahren erreichten, mit 18 Teilnehmern im Alter von 50 bis 79 Jahren. Die Hundertjährigen hatten ein „iAge“, das durchschnittlich 40 Jahre unter ihrem kalendarischen Alter lag. Ein 105-jähriger Mann hatte ein „entzündliches Alter“ von nur 25 Jahren, so Furman.
Die Forscher haben auch die Daten der Framingham Heart Study ausgewertet, die seit 1948 Einwohner aus der gleichnamigen Kleinstadt in Massachusetts begleitet und in der Vergangenheit die wichtigsten bekannten Risikofaktoren für Herzerkrankungen ermittelt hat, etwa Rauchen, Bluthochdruck, Cholesterin, Diabetes und zuletzt auch die Adipositas.
Den Forschern standen zwar keine Blutproben zur Verfügung, um den Einfluss von „iAge“ auf das Altern zu untersuchen. Die Analyse von zytokinkodierenden Genen in den Zellen der Teilnehmer lieferten jedoch Hinweise, dass auch bei den Framinghamprobanden die Zytokinspiegel signifikant mit der Gesamtmortalität korrelierten.
Eines der Zytokine aus dem „iAge“-Score könnte sogar ein Ansatzpunkt für ein Anti-Ageing-Mittel sein. Die Konzentration von CXCL9, das im Alter vermehrt gebildet wird, korrelierte mit der Pulswellengeschwindigkeit, die ein Maß für die Gefäßsteifigkeit, also die Atherosklerose ist. Eine erhöhte Konzentration von CXCL9 war auch mit einer erhöhte Wandstärke der linken Herzkammer verbunden. Diese linksventrikuläre Hypertrophie ist eine Reaktion auf die mit der Atherosklerose verbundene Mehrarbeit des Herzmuskels. Diese Teilnehmer hatten häufig auch einen erhöhten „iAge“-Score.
Interessant ist CXCL9, weil es mit zunehmender Immunseneszenz vermehrt gebildet wird, und zwar nicht nur von den Makrophagen und anderen Immunzellen, sondern offenbar auch von den Endothelzellen. Dies schafft eine Verbindung zur Atherosklerose, deren Beginn heute in einer Funktionsstörung der Endothelien gesehen wird. Im besten Fall könnten die Alterungsvorgänge an den Blutgefäßen durch eine Blockade von CXCL9 aufgehalten oder zumindest verlangsamt werden. Ein Stillegen von Genen ist heute durch ein RNA-Interferenz oder mit Antisenseoligonukleotiden möglich.
Ob dies die Alterung von Immunsystem und Gefäßen aufhalten könnte, ist nicht bekannt. Die vermehrte Freisetzung von CXCL9 könnte auch die Folge und nicht die Ursache der Alterungsvorgänge sein. In ersten Experimenten an dem Gewebe von Mäusen und an menschlichen Zellen wollen Furman und Mitarbeiter jedoch günstige Auswirkungen eines CXCL9-Silencing beobachtet haben.
Dies ist allerdings nur der erste Schritt in Richtung einer Behandlung, die Alterungsvorgänge im Immunsystem und an den Endothelien aufhalten könnte. Der nächste Schritt dürften Experimente an Mäusen sein, bei denen das Gen für CXCL9 ausgeschaltet wird. Sollte dies das Leben der Mäuse verlängern, könnten die Forscher sich über weitere tierexperimentelle Studien in Richtung klinischer Tests bewegen.
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