„Ich habe nichts liegenlassen, was mich vorangebracht hat“
München – Seit Jahren stagniert der Anteil von Frauen in klinischen Spitzenpositionen an den medizinischen Fakultäten, obwohl es qualifizierten Nachwuchs gibt. Über die Gründe und Strategien, mit denen sich diese „gläserne Decke“ durchbrechen lässt, sprach das Deutsche Ärzteblatt anlässlich des Internationalen Frauentages mit Marion Kiechle. Sie war 1999 die erste Frau in Deutschland, die auf einen Lehrstuhl für Frauenheilkunde berufen wurde.
Seit dem Jahr 2000 war sie Direktorin der Frauenklinik des Klinikums rechts der Isar an der Technischen Universität München und sammelte 2018 als bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst auch Erfahrungen in Führungspositionen in der Politik. Seit der bayerischen Landtagswahl im Oktober 2018 leitet die Ärztin und Wissenschaftlerin wieder die Klinik für Frauenheilkunde.

5 Fragen an Marion Kiechle, Professorin für Frauenheilkunde sowie Direktorin der Frauenklinik rechts der Isar, Technische Universität (TU) München
Frau Professorin Kiechle, Sie waren deutschlandweit die erste Frau, die einen Gynäkologie-Lehrstuhl innehatte. Das ist jetzt schon 25 Jahre her. Trotzdem sind Frauen in Führungspositionen in der Medizin immer noch rar. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Tatsächlich sind wir von einem Gleichstand noch meilenweit entfernt. Um auf einem Gebiet erfolgreich sein zu können, braucht es Talent und Übung, was in der Regel mit viel Arbeit und Anstrengung verbunden ist. Das ist die Basis, aber es braucht mehr.
Es braucht zum Beispiel Vorbilder, mit denen man sich identifizieren und denen man nacheifern kann. Das ist ein wichtiger Faktor, der aufgrund des Mangels von weiblichen Führungskräften in der Medizin nach wie vor zu kurz kommt.
Was halten Sie darüber hinaus für besonders notwendig?
Zudem ist sehr wichtig, das eigene Ziel zu definieren. Und es braucht eine Strategie, um diesen Plan umzusetzen. Dafür ein Beispiel aus meinem Berufsleben: Mein Praktisches Jahr habe ich in den 80ern in Tuttlingen im Schwarzwald gemacht. Es war sehr interessant, ich habe viel gelernt, meinen ersten Kaiserschnitt gemacht und meine erste Appendektomie durchgeführt.
Aber was ich dort erfahren habe, hat mich geprägt: dort musste ich erleben, dass jeder interessante, jeder schwierige Fall, jede Patientin bei der man nicht weiterkam in Tuttlingen, in die Uniklinik nach Freiburg verlegt wurde. Sofort kam in mir der Impuls hoch: genau dort möchte ich arbeiten, dort wo sozusagen die Spitze der Medizin ist, die Ärztinnen und Ärzte sitzen, die auch die schwierigen Fälle behandeln können. Damit hatte ich mein Ziel glasklar vor Augen: ich möchte eine Assistenzarztstelle an der Universitäts-Frauenklinik in Freiburg. Der erste Schritt war getan, ich hatte mein Ziel definiert.
Zudem muss man seine Ziele klar und unmissverständlich benennen und diese nicht nur im Herzen herumtragen. Solange man etwas quasi als Geheimnis in sich bewahrt, hat es viel weniger Kraft. Etwas auszusprechen halte ich daher für durchschlagend wichtig. Auch hier habe ich meine einschlägigen Erfahrungen gemacht. Ich vergleiche das immer mit Zahnschmerzen, die ich als Kind hatte: sie wurden erst real, als ich meiner Mutter davon erzählte und sie mich dann zum Zahnarzt schleifte.
Und – ich hab’s ausgesprochen, laut und deutlich: ich will meine Weiterbildung in der Uni-Frauenklinik machen! Und das habe ich all meine Freunde und Kommilitonen wissen lassen. Die haben natürlich nur gelacht, weil es damals eine Ärzteschwemme gab und es sehr schwierig bis nahezu unmöglich war, eine entsprechende Stelle zu bekommen. Ich habe mir daher eine Strategie überlegt, die mich von anderen Bewerbern unterscheidet: ich beschloss, ein Stipendium bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu beantragen.
Und, was soll ich sagen: es hat geklappt. Ich konnte mit diesem Stipendium zwei Jahre in den USA forschen. Ich habe als Wissenschaftlerin gearbeitet und auch die Zeit genutzt, um neben Papern auch einen Drittmittelantrag zu schreiben und die Basis für meine eigene Forschergruppe zu schaffen. Mit diesen Drittmitteln im Gepäck war ich natürlich sehr interessant für den damaligen Chef. Also habe ich an der Universitäts-Frauenklinik Freiburg am 1.9.1989 meine Weiterbildung begonnen.
Nicht unerwähnt möchte ich allerdings lassen, dass ich in meinem Doktorvater einen Coach und Mentor gefunden hatte. Er hat mich zum initialen DFG-Antrag ermutigt und mich auch bezüglich der Forschungsarbeiten inhaltlich begleitet. Er war es im Übrigen auch, der mein Interesse an der Forschung geweckt hat. Er war mein Vorbild – sowohl klinisch als auch wissenschaftlich. Er hat mir vorgelebt, dass man sechs Stunden bei einem Ovarialkarzinom-Debulking stehen kann und dann noch erfolgreiche Drittmittelanträge und Papers schreiben kann. Es ist in der Medizin wie im Sport: Man braucht einen guten Coach, um das Beste aus sich herauszuholen.
Was für Erfahrungen haben Sie dann später auf dem Weg zu Führungspositionen in der Klinik gemacht? Und was meinen Sie: Führen Frauen anders als?
Ich selbst habe leider keine Frau als Führungsperson in meiner Karriere erlebt, aber ich denke, dass es zwischen Frauen und Männern Unterschiede gibt. Von meinen männlichen Vorgesetzten habe ich mir vor allem abgeschaut, wie ich es nicht machen werde.
Der Umgangston, mit dem ich ausgebildet wurde, war männlich geprägt, rau und teilweise sehr laut. Die eine oder andere Kollegin, aber durchaus auch manchen männlichen Kollegen, habe ich Tränen überströmt aus dem OP oder aus dem Behandlungszimmer laufen sehen. Mir hat das aber – ehrlich gesagt – nichts ausgemacht. Ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen, zwei und drei Jahre jünger als ich. Für mich war das Testosteron-geschwängerte Gockel-Kampfverhalten nichts Neues und es hat mich keineswegs eingeschüchtert. Respekt hatte ich ausschließlich vor dem Wissen und von der Erfahrung der älteren Kollegen, Oberärzte und Chefs – und nicht vor ihrem Gebrüll. Für mich war klar: die Inhalte des Gesagten müssen stimmen und diese kommen meines Erachtens besser in einer ruhigen Sprache an.
Als ich in Freiburg als Assistenzärztin anfing, musste ich mir gleich am zweiten Tag von meinem zuständigen Oberarzt folgendes anhören: „Kiechle, kannst Du Skat?“. Ich: „Ja, klar.“ Er: „Es läuft hier wie beim Skat: Ober sticht Unter.“ Der Ton war schon recht rau…. Auch die Gepflogenheit, die Leute beim Nachnamen zu nennen und sie dann zu duzten, habe ich sehr oft bei männlichen Vorgesetzen erlebt. Wahrscheinlich sollte dieser Widerspruch als Einschüchterungstaktik genutzt werden.
Viele haben sich einfach hingestellt und behaupteten, sie könnten alles. Derartige Ansagen sind natürlich in der Praxis und Umsetzung nahezu immer in die Hose gegangen. Ich glaube, viele Männer haben es als absolute Schwäche und Niederlage empfunden, wenn es eine oder einen gab, der die beispielsweise eine Operation oder eine Ultraschalltechnik besser beherrschte als er selbst. Für mich gilt: Es ist als Chef oder Chefin überhaupt keine Schande, wenn man nicht alles kann und vor allem auch dazu steht. Das vermittelt in jedem Fall viel mehr Kompetenz und Stärke, weil es einfach ehrlich ist. Daher sage ich meinen Patientinnen: „Bei uns macht es der, der es am besten kann!“
2018 gingen Sie als bayerische Wissenschaftsministerin von der Klinik in die Politik. Was war für Sie an dieser neuen Führungsrolle das Bemerkenswerteste?
Ich habe festgestellt, dass gute Führung in der Medizin sich nicht von der in der Politik unterscheidet. Es gilt auch hier eine klare Vorstellung von Zielen und Strategien zu haben und diese an sein Team zu vermitteln, um es für eine Sache zu begeistern. Wie Coach gilt es Menschen zu inspirieren, ihr Bestes zu geben, und dabei ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich geschätzt und motiviert fühlen. Denn schließlich ist Medizin, wie auch Politik, Teamwork. „Talent gewinnt Spiele, aber Teamwork und Intelligenz gewinnen Meisterschaften“, das wusste schon der erfolgreichste Basketballspieler aller Zeiten, Michael Jordan, zu sagen.
Für viele Frauen in der Klinik sind Sie ein Vorbild. Was ist Ihre zentrale Botschaft, die Sie – jetzt zum Frauentag zum Beispiel – gerne weitergeben würden?
Viele sagen, ich hätte Glück mit meinem Karriereweg gehabt. Ja, korrekt, aber was ist Glück? Die Antwort lieferte vor langer Zeit schon der römische Philosoph Seneca. Glück ist, wenn Gelegenheit auf Bereitschaft trifft. Dieses Zitat war und ist auch Teil meines Erfolgs geblieben. Ich habe alle Gelegenheiten genutzt und wirklich nichts liegen lassen, was mich vorangebracht hat.
Und noch etwas sehr Wichtiges: Als harmoniebedürftiger Mensch habe ich erst lernen müssen, dass dies spätestens in einer Führungsrolle vorbei ist. Wie formulierte es Franz Josef Strauß so treffend: „Everybody's darling is everybody's Depp.“
Übertriebenes Harmoniestreben und ständige Anpassung an die Erwartungen Anderer – übrigens Eigenschaften, die vielen Frauen inne wohnen – macht nicht nur extrem unzufrieden, sondern führen auf Dauer auch zum Verlust der eigenen Führungspersönlichkeit. Man muss aushalten können, dass nicht Jeder ein Freund ist; dass man als Chef die Probleme – und auch manchmal noch so schwachsinnige Reibereien im Team – klären muss und dass die vorgeschriebenen Dienstzeiten nur für die Anderen gelten.
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