Immer mehr Knie-TEP auch bei jüngeren Patienten

Gütersloh – In Deutschland erhalten immer mehr Patienten künstliche Kniegelenke. Zwischen 2013 und 2016 ist die Zahl der Eingriffe von 143.000 auf 169.000 gestiegen. „Erklärbar ist dieser Trend weder durch medizinische, noch durch demografische oder geografische Einflussfaktoren“, schreibt die Bertelsmann-Stiftung jetzt in einer neuen Studie. Bei den unter 60-Jährigen seien die Operationszahlen von 27.000 auf 33.000 sogar um 23 Prozent gestiegen. „Dass immer mehr jüngere Patienten Knieprothesen bekommen, lässt fragen, ob die Operationen wirklich medizinisch notwendig indiziert sind. Dies ist besorgniserregend“, sagte Brigitte Mohn, Vorstand der Stiftung.
Die Zahlen zu den Kniegelenks-Totalendoprothesen (Knie-TEPS) stammen aus einer Zusammenarbeit zwischen der Bertelsmann-Stiftung und dem Science Media Center (SMC) in Köln, einem Unternehmen für Wissenschaftskommunikation. Letzteres hat Daten des Statistischen Bundesamtes altersstandardisiert ausgewertet.
Operationszahlen im internationalen Durchschnitt
„Der Anstieg für den Ersatz eines künstlichen Kniegelenkes seit 2009 liegt mit acht Prozent im internationalen Durchschnitt. Die Fachgesellschaften erwarten aufgrund des demografischen Wandels jedoch noch höhere Zahlen: Denn Deutschland befindet sich beim Altersdurchschnitt der Bevölkerung weltweit in einer Spitzengruppe“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE), der Deutschen Kniegesellschaft und des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU).
Die Verbände betonen, dass sie sich seit Jahren für die qualitätsgesicherte chirurgische Versorgung und für gelenkerhaltende Behandlungsmaßnahmen gleichermaßen einsetzen. „Diese Strategie kann aber nur dann noch erfolgreicher sein, wenn die Qualität und konservative Behandlung zukünftig wieder besser vergütet werden“, sagte Carsten Perka, DGOU-Vizepräsident und AE-Präsidiumsmitglied.
Auf medizinische Fortschritte bei der Behandlung weist in diesem Zusammenhang der DGOU-Experte Klaus-Peter Günther hin: Die Ergebnisse in der Knie-Endoprothetik seien in den vergangenen Jahren nochmals deutlich verbessert worden, wovon nicht nur ältere, sondern auch jüngere Patienten mit hohem Leistungsanspruch profitierten. „Die besseren Ergebnisse führen auch zu einer verstärkten Nachfrage nach dieser Versorgung auch in dieser Altersgruppe, verbunden mit dem Ziel, wieder voll funktionstüchtig zu werden. Konservative Maßnahmen wie Physiotherapie, medikamentöse Therapie und Injektionen können dies in dieser Altersgruppe meist nicht im gewünschten Umfang leisten“, erläuterte er.
Gründe für den Anstieg
Stiftung und SMC sehen auch finanzielle Gründe für die Entwicklung der Kniegelenks-TEP: Durch mehrfache Erhöhungen einer zentralen Fallpauschale ab 2013 seien diese Operationen für die Kliniken lukrativer geworden. Niedergelassenen Ärzten scheine darüber hinaus nicht genügend Budget für konservative Therapieansätze wie Physiotherapie zur Verfügung zu stehen.
„Der Bericht weist zu Recht auf wichtige Faktoren hin, die in der Mengenentwicklung von künstlichen Kniegelenken eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehört in erster Linie das im Gegensatz zu anderen Ländern exzessiv betriebene Refinanzierungssystem mit DRG-Fallpauschalen“, sagte Günther. Seit Jahren werde die alternative konservative Behandlung dagegen unzureichend vergütet. „Wenn ärztliche Beratung und konservative Maßnahmen nicht angemessen honoriert werden, ist die frühere Entscheidung zum Kunstgelenkersatz keine Überraschung“, sagte er. Außerdem sei „nach wie vor die Zahl der Einrichtungen, in denen der Kniegelenkersatz angeboten wird, zu groß“, so der Experte der Fachgesellschaft.
Ambulanten konservativen Therapie unzureichend vergütet
„Eine konservative Behandlung zur Abwendung einer Operation braucht Zeit. Patienten mit Arthrose muss man intensiv beraten: Wie wichtig ist es abzunehmen? Welche Begleiterkrankungen sind zu beachten, bevor man Schmerzmittel empfiehlt? Warum ist Bewegung wichtig? Die Zeit dafür fehlt in den stark frequentierten Praxen, sie wird auch nicht vergütet. Und die Budgets erlauben es nicht, so engmaschig wie manchmal nötig Krankengymnastik zu verordnen“, erläuterte der BVOU-Vorsitzende Johannes Flechtenmacher die Probleme aus der Praxis. „Die umfassenden Möglichkeiten der ambulanten konservativen Therapie werden derzeit vom GKV-System nur über Selektivverträge vergütet und stehen damit weder flächendeckend noch für alle Versicherten gleichermaßen zur Verfügung“, so Flechtenmachers Kritik.
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