Politik

Internet­psychotherapie sollte Regelversorgung werden

  • Dienstag, 27. Juni 2017
/relif, stock.adobe.com
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Berlin – Internetprogramme zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen erfordern mindestens die gleiche Sorgfalt wie Behandlungen im unmittelbaren Gegenüber in einer Praxis oder einem Krankenhaus. Diagnostik und Aufklärung müssen grundsätzlich im unmittelbaren Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patient erfolgen. Wirksame Internetprogramme sollten zur Regelleistung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Das fordert die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in einem Grundsatzpapier anlässlich des Symposiums „Internet in der Psychotherapie“, das heute in Berlin stattfindet.

Internetprogramme sollten als Medizinprodukt geprüft und zugelassen werden sowie von Psychotherapeuten und Fachärzten zu verordnen sein, erklärt die BPtK weiter. „Patienten sollten sich an einen Psychotherapeuten wenden, wenn sie sich unsicher sind, wie ein Internetprogramm einzuschätzen ist“, betonte BPtK-Präsident Dietrich Munz.

Die Kammer hat eine Checkliste entwickelt, mit der Patienten Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen einer ersten kritischen Überprüfung unterziehen können. „Jedes Programm sollte zumindest die Antworten auf die Fragen dieser Checkliste bieten“, erläuterte er. „Ist dies nicht möglich, sollte ein Patient die Finger davon lassen.“

Behandlungen psychischer Erkrankungen, bei denen sich Psychotherapeut und Patient nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen, bergen nach Ansicht der BPtK Risiken, die die Gesundheit des Patienten gefährden können.

„Bei den meisten Internetprogrammen fehlt ein zentrales Instrument, mit dem Psychotherapeuten das seelische Befinden ihrer Patienten einschätzen: der vollständige Eindruck und die körperliche Präsenz vom Patienten im unmittelbaren Gegenüber“, erklärte BPtK-Präsident Munz. Selbst bei Video-Telefonaten sei der audiovisuelle Eindruck auf einen Kameraausschnitt eingeschränkt. So könne der Psychotherapeut nicht sehen, wie der Patient in den Raum kommt oder wie er sich bewegt. Ebenso wenig könne er beispielsweise suizidale Motive des Patienten ausreichend über Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimmlage einschätzen.

Fachgerechte Diagnostik und Indikationsstellung gefordert

Grundlage für jede psychotherapeutische Behandlung ist eine fachgerechte Diagnostik und Indikationsstellung, stellt die BPtK klar. Für eine fachgerechte Diagnose sei grundsätzlich ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht unerlässlich, weil meist nur so ein ausreichender Eindruck vom Befinden des Patienten möglich ist. Bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen seien besondere Anforderungen an die Diagnostik, Kommunikation und Sorgfaltspflichten zu stellen. So müsse das Alter der Kinder beachtet werden, ob sie in der Lage sind, altersgemäß zu kommunizieren, oder ob Vorerkrankungen vorliegen, zum Beispiel Internetsucht.

Auch Aufklärung und Einwilligung in die Behandlung erfordern nach Ansicht der Bundespsychotherapeutenkammer grundsätzlich einen unmittelbaren Kontakt des Psychotherapeuten mit dem Patienten. Nur so könne der Therapeut ausreichend sicherstellen, dass der Patient verstanden hat, in welche Behandlung er einwilligt. Bei Minderjährigen, die noch nicht selbst über eine Behandlung entscheiden können, müssten auch die Eltern oder andere Sorgeberechtigte aufgeklärt werden. Sie müssten zudem ausdrücklich der Behandlung zustimmen.

Geschützte Internetverbindung für Vertraulichkeit der Kommunikation

Für die psychotherapeutische Behandlung ist es nach Ansicht der BPtK unbedingt erforderlich, insbesondere E-Mail-Kommunikation und Video-Telefonate auf dem technisch höchsten Standard zu verschlüsseln und vor Ausspähen und Abfangen von Daten zu schützen. Ohne eine geschützte Internetverbindung könne ein Psychotherapeut die notwendige Vertraulichkeit nicht gewährleisten. Auch bei Internetprogrammen mit standardisierten Fragen und Antworten sei Datenschutz auf technisch höchstem Niveau notwendig. „Patienten sollten detailliert darüber informiert werden, welche Daten wie und wo erhoben und gespeichert werden, wie sie diese einsehen, weiterverwenden und löschen lassen können“, fordert BPtK-Präsident Munz.

Aktuell nutzen viele Krankenkassen Internetprogramme für psychische Erkrankungen, um sich von ihren Wettbewerbern zu unterscheiden. Das führt dazu, dass viele Internetprogramme nur für die Versicherten der jeweiligen Krankenkasse verfügbar sind. „Dies ist mit den Grundsätzen einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht vereinbar. Bei Arzneimitteln wäre es undenkbar, dass eine Kasse einen Wirkstoff exklusiv ihren Versicherten zur Verfügung stellen kann“, kritisiert BPtK-Präsident Munz. Nachweislich wirksame Internetprogramme müssten allen Versicherten auf Kosten der Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden können.

Internetprogramme als Medizinprodukte zertifizieren

Die BPtK fordert deshalb, Internetprogramme für Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen als Medizinprodukte zu prüfen und zu zertifizieren. Die Zulassung sollte, anders als bisher, nicht über unterschiedliche private Anbieter, sondern durch ein finanziell unabhängiges Institut, wie beispielsweise das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, erfolgen. Das Institut müsse für diese Aufgabe der Prüfung von medizinischer Software über ausreichend fachliche und personelle Ressourcen verfügen.

„Wirksame Internetprogramme müssen künftig durch Psychotherapeuten und Fachärzte verordnet werden können“, fordert BPtK-Präsident Munz. Dazu müssten diese Medizinprodukte in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden. Für diese neue Produktgruppe müssten Mindestanforderungen an die Qualität festgelegt werden. „Wird ein Medizinprodukt verordnet, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Nutzung solcher Programme durch ihre Versicherten“, betonte Munz.

BPtK-Checkliste für Patienten

Patienten sollten Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen kritisch hinterfragen, erklärt die BPtK schließlich. Häufig fehlten wichtige Informationen, um die Qualität und Datensicherheit der Programme beurteilen zu können. Bei einigen Programmen handele es sich um Präventionsangebote, zum Beispiel zur Stressreduktion, andere wurden gezielt zur Behandlung psychischer Krankheiten entwickelt. Einige Programme seien ohne Login von jedem zu nutzen, für andere muss der Nutzer ein Versicherter der jeweiligen Krankenkasse sein.

Unklar bleibe oft die Qualifikation der Berater oder Behandler, die für die individuelle Unterstützung der Versicherten zuständig sind. „Es ist nicht sichergestellt, dass sie Psychotherapeuten oder Ärzte sind“, sagte der BPtK-Präsident. Die BPtK stellt Patienten deshalb eine Checkliste (PDF: Seite 28) zur Verfügung, mit der sie Internetangebote in einem ersten Schritt kritisch prüfen können.

pb/EB

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