Karlsruhe: Zeugnisse dürfen Hinweise auf Behinderung enthalten

Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht sieht die Schulen in der Pflicht, in Abiturzeugnissen eindeutig klar zu machen, wenn Schüler mit Behinderungen oder Einschränkungen Prüfungserleichterungen erhalten haben.
Der Hinweis auf ein Abweichen von allgemeinen Prüfungsmaßstäben, etwa wenn Rechtschreibfehler bei Legasthenikern nicht bewertet werden, diene der Transparenz über die tatsächlich erbrachten Leistung, urteilte das Verfassungsgericht heute.
Entsprechende Zeugnisvermerke seien verfassungsgemäß und stünden im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Entscheidend sei ein „bezogen auf die Leistungsfähigkeit chancengleicher Zugang aller Abiturienten zu Ausbildung und Beruf“, entschied der Erste Senat des Verfassungsgerichts.
Das Recht der Betroffenen, ihre behinderungsbedingte Einschränkungen nicht offenzulegen, müsse dahinter zurücktreten. Die Bedingung für verfassungsgemäße Zeugnisvermerke ist laut dem Urteil aber, dass sie für alle Schüler nach gleichen Kriterien verfasst werden.
Damit könnte es beispielsweise künftig auch vermehrt Zeugnisvermerke über Körperbehinderungen, Autismus oder andere Einschränkungen geben. Ein Hinweis über Erleichterungen nur für Legastheniker, also von einer Lese-Rechtschreib-Störung betroffenen Schüler, ist nicht rechtens.
Daher gaben die Richter den konkreten Verfassungsbeschwerden der drei Kläger statt. Karlsruhe sah in ihren Abiturzeugnisvermerken aus dem Jahr 2010 eine Diskriminierung, weil nach dem damals in Bayern geltenden Schulrecht nur Hinweise auf Prüfungserleichterungen wegen Legasthenie, aber nicht wegen anderer Behinderungen aufgenommen wurden. Laut dem Urteil muss Bayern den drei Klägern daher ein neues Zeugnis ohne entsprechenden Hinweis ausstellen.
Der Bundesverband Legasthenie zeigte sich enttäuscht über das Urteil. „Wir hätten uns erhofft, dass die Hinweise auf Legasthenie als diskriminierend verboten werden“, sagte die Verbandsvorsitzende Tanja Scherle der nach der Urteilsverkündung. Ein wichtiger Schritt sei aber, dass die Verfassungsrichter Legasthenie als Behinderung anerkannt hätten. „Das kann Betroffenen helfen, weil sie dadurch in ihren Rechten gestärkt werden, jenseits von Zeugnisbemerkungen.“
Nach dem Urteil sehen Experten nun Handlungsbedarf für die Schulverwaltungen der Bundesländer. Sie müssen prüfen, wie die Abiturzeugnisse gewährte Hilfen und Abweichungen von Prüfungsanforderungen für Schüler mit Behinderungen dokumentieren.
Wegen der vom Verfassungsgericht geforderten „gleichmäßigen“ Dokumentierung dürfte es künftig mehr entsprechende Abiturzeugnisvermerke geben, auch für körperbehinderte Schüler.
Die bayerische Landesschulordnung sieht bereits entsprechende Hinweise auch auf Behinderungen wie Autismus, Körperbehinderung, Taubheit oder Blindheit vor.
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