Keine Zuckersteuer geplant, Werbeverbot soll kommen

Berlin – Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP plant ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel in Medienformaten, die sich an unter 14-Jährige richten. Das geht aus dem gestern von den Parteien vorgestellten Koalitionspapier hervor. Eine von vielen Gesundheits- und Verbraucherverbänden geforderte Steuer auf Getränke mit einem hohen Anteil von zugesetztem Zucker wird darin nicht erwähnt.
Über diese beiden besonders von den Grünen in den vergangenen Jahren immer wieder geforderten Punkte hinaus bleibt das Papier im Bereich der Ernährung weitgehend unkonkret. Insbesondere mit Blick auf Kinder wolle man bis 2023 eine Ernährungsstrategie beschließen, um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen, heißt es in dem Dokument, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Man werde zudem die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) aktualisieren und in der Gemeinschaftsverpflegung als Standard etablieren. Die DGE selbst wurde in diesem Punkt jedoch offenbar nicht konsultiert. „Im Sinne der Verhältnisprävention begrüßen wir eine verbindliche Etablierung der DGE-Qualitätsstandards. Die Formulierung „aktualisieren“ erschließt sich uns auf den ersten Blick nicht“, sagt DGE-Sprecherin Antje Gahl.
Die Qualitätsstandards seien erst Ende 2020 in überarbeiteter Form publiziert worden. „Dafür haben wir die Kriterien auch jeweils unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit aktualisiert und die Expertise des internationalen Think Tanks „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ sowie des WBAE – wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz einbezogen“, so Gahl.
Neben der Überarbeitung der Gemeinschaftsversorgung verfolgt die Koalition laut dem Papier das Ziel, den Anteil regionaler und ökologischer Produkte zu erhöhen sowie stärker auf pflanzliche Alternativen zu setzen und die Zulassung von Fleischersatzprodukten und anderen alternativen Proteinquellen auf EU-Ebene voranzutreiben. Unter anderem soll der Ökolandbau in Deutschland bis 2030 auf 30 Prozent steigen.
Die bisherige Regierung hatte ein Ziel von 20 Prozent verfolgt. Aktuell werden nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums rund 13 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe nach den EU-Vorgaben des Ökolandbaus bewirtschaftet, auf knapp zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Die Nährwertkennzeichnung Nutriscore soll weiterentwickelt werden. Dass die Kennzeichnung in Deutschland verbindlich auf allen Lebensmitteln zum Einsatz kommen soll, wie vor der Wahl unter anderem von Politikern der Grünen gefordert worden war, ist indes laut dem Papier bislang nicht vorgesehen.
Das gleiche gilt für Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz. Diese sollen künftig wissenschaftlich fundiert und auf Zielgruppen abgestimmt sein. Für welche Lebensmittel sie gelten und ob Hersteller gesetzlich daran gebunden sein sollen, lässt das Dokument offen.
Verbot von Glyphosat geplant
Man wolle die Entwicklung von Kriterien für einen ökologischen Fußabdruck unterstützen und den gesundheitlichen Verbraucherschutz stärken. Es solle Forschung zu gesundheitsgefährdenden Stoffen wie endokrinen Disruptoren sowie zu Kontaktmaterialien und Mehrfachbelastungen geben.
Darüber hinaus soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln „auf das notwendige Maß“ beschränkt werden. Das umstrittene Pestizid Glyphosat soll bis Ende 2023 vom Markt genommen werden. In der Haltung von Tieren zur Lebensmittelproduktion soll es eine neue Gesundheitsstrategie geben, die neben einer Datenbank mit allen Betrieben auch die Erfassung und Senkung des Antibiotikaeinsatzes einschließen soll.
Verbände wie die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) kritisieren, dass die sogenannte „Zuckersteuer“ in der Koalitionsvereinbarung nicht auftaucht. „Die Zuckersteuer ist essentiell, um die Lebensmittelindustrie in die Pflicht zu nehmen – hier muss die Ampel also nachbessern!“, so Barbara Bitzer, DDG- Geschäftsführerin. „Eine Weiterentwicklung des Nutriscores – auch auf europäischer Ebene – begrüßen wir. Allerdings fehlt hier das klare Bekenntnis für eine verbindliche Einführung.“
Die DDG begrüße das geplante Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel. „Allerdings deckt das Verbot in der Formulierung nur Sendungen und Formate ab, die sich an Kinder unter 14 Jahren richten und auch der schädliche Einfluss von sozialen Netzwerken oder Influencer*innen wird nicht explizit erwähnt. Das lässt noch viel Interpretationsspielraum. Für Werbung für ungesunde Lebensmittel darf es keine Hintertüren geben“, so Bitzer.
Auch die Verbraucherorganisation Foodwatch bezeichnet die geplante Regelung für Kinderwerbung als wichtigen Schritt im Kampf gegen Fehlernährung, fordert aber ebenfalls eine stärkere Konkretisierung. „Für ein wirksames Gesetz ist es unbedingt notwendig, dass sämtliche Werbeformate abgedeckt und keine Schlupflöcher gelassen werden: Von der Verpackungsgestaltung über Online-Gewinnspiele bis hin zur Werbung durch Social-Media-Influencer“, so Foodwatch-Mitarbeiterin Saskia Reinbeck.
Lebensmittelwerbung solle zudem nur für solche Produkte erlaubt werden dürfen, die die Nährwertempfehlungen der WHO erfüllen. Auch foodwatch fordere eine Zuckersteuer sowie eine verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln mit dem Nutriscore.
Auch die DGE hält bestimmte Werbeverbote sowie eine verpflichtende Verwendung des Nutriscores für sinnvoll. Eine Besteuerung einzelner Produkte wie etwa zuckerhaltiger Limonaden könne jedoch auch unerwünschte Folgen haben, etwa das Verbraucherinnen und Verbraucher auf unbesteuerte Alternativen mit Zuckerersatzstoffen ausweichen.
Stattdessen plädiere die DGE für „Steuerkonzepte, die gesunde Lebensmittel preislich entlasten und/oder ungesunde Lebensmittel verteuern“, erklärt Gahl. Langfristig sei eine abgestimmte Kombination verbindlicher Maßnahmen im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes sinnvoll.
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