Ausland

Kirchliche Arbeitgeber dürfen Konfession nicht immer verlangen

  • Dienstag, 17. April 2018
/Daniel Ernst, stockadobecom
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Luxemburg – Kirchliche Arbeitgeber dürfen nicht bei jeder Stelle von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit verlangen. Dies stellte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg heute zu einem Fall aus Deutschland klar (Rechtssache Nr. C-414/16). Zur Bedingung darf die Zugehörigkeit zu einer Konfession demnach nur gemacht werden, wenn dies für die Tätigkeit „objektiv geboten“ ist und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Ob dies der Fall sei, müsse vor Gerichten überprüfbar sein.

Das Urteil könnte für kirchliche Arbeitgeber in Deutschland erhebliche Auswirkungen haben. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi beschäftigen sie etwa 1,5 Millionen Menschen. Die Diakonie ist laut Internetseite mit mehr als 525.700 hauptamtlich Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. In den Einrichtungen und Diensten der Caritas arbeiten rund 620.000 Menschen.

Zugehörigkeit zur Kirche verlangt

In dem konkreten Fall hatte das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung in einer Stellenausschreibung für eine befristete Referentenstelle für das Projekt „Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention“ die Zugehörigkeit zu einer protestantischen Kirche gefordert. Bewerber sollten dies in ihrem Lebenslauf ausweisen.

Das entspricht der generellen Linie der Evangelischen Kirche in Deutschland, die von Mitarbeitern „grundsätzlich“ die Zugehörigkeit zu einer protestantischen Kirche fordert. Ausnahmen sind zugelassen, „wenn andere geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu gewinnen sind“.

Eine konfessionslose Bewerberin für die Stelle bei dem Evangelischen Werk wurde nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Da sie annahm, sie habe die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht bekommen, verklagte sie die evangelische Institution und forderte knapp 10.000 Euro Entschädigung. Das Evangelische Werk hielt dagegen, die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion sei nach dem Recht auf kirchliche Selbstbestimmung zulässig.

Der Fall ging in Deutschland mit widersprüchlichen Urteilen durch die Instanzen. Das Bundesarbeitsgericht bat die Kollegen in Luxemburg schließlich um Auslegung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie. Diese schützt Arbeitnehmer vor Diskriminierung wegen Religion oder Weltanschauung. Doch erkennt sie das Recht der Kirchen auf Autonomie an. Letztlich muss zwischen beidem abgewogen werden, wie der EuGH in seinem Urteil feststellt. Es sei ein „angemessener Ausgleich“ herzustellen, betonen die EU-Richter.

Kirchen dürften zwar eine „mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung“ stellen. Dies gelte aber nur, wenn diese Bedingung bei der jeweiligen Tätigkeit „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ darstelle.

Ob diese Kriterien gelten, könne die kirchliche Institution nicht allein bestimmen. Vielmehr müsse dies von einer unabhängigen Stelle oder vor einem staatlichen Gericht überprüfbar sein. Sonst ließe sich die Einhaltung der Regeln nicht kontrollieren, halten die Richter fest. Die Entscheidung zu dem Einzelfall muss das Gericht in Deutschland treffen und das EuGH-Grundsatzurteil berücksichtigen.

Urteil könnte auch Ärzte betreffen

Der Anwalt der Klägerin, Klaus Bertelsmann, stellte im Lichte des Urteils klar, dass aus seiner Sicht nun ein kirchlicher oder kirchennaher Arbeitgeber für Stellen wie Buchhalter, Küchenhilfe, Arzt oder Fachlehrer keine bestimmte Kirchenzugehörigkeit verlangen darf.

Der Marburger Bund (MB) betonte, das Urteil erlege es den Kirchen auf, Gerichten im Streitfall sehr genau darzulegen, warum die Religionszugehörigkeit tatsächlich eine zu rechtfertigende berufliche Anforderung sein soll. „Pauschale Zurückweisungen von Arbeitnehmern laufen künftig Gefahr, vor Gericht keinen Bestand mehr zu haben“, sagte Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes. Die Kirchen seien gefordert, den vom EuGH aufgestellten Kriterien in vollem Umfang Rechnung zu tragen.

Der MB wies darauf hin, dass zukünftig angerufene weltliche Gerichte sich vergewissern müssten, dass die in der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie für die Abwägung der gegebenenfalls widerstreitenden Rechte genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt seien. „Es liegt nicht mehr in der Hand der Kirchen, nach Gusto zu entscheiden. Die Aussicht von Beschäftigten, dass unbegründete Entscheidungen in Zukunft von weltlichen Gerichten widerrufen werden, ist durch das Urteil des EuGH gestiegen“, sagte Henke. Insofern könne das Urteil auch für Ärzte, die sich um eine Anstellung in kirchlichen Krankenhäusern bemühten, Relevanz entfalten. Der MB will die ausstehende ausführliche Urteilsbegründung sorgfältig analysieren.

Kirchen sollen Konsequenzen ziehen

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes rief die Kirchen auf, aus dem Urteil Konsequenzen zu ziehen. „Die Kirchen müssen ab jetzt für jedes einzelne Arbeitsverhältnis nachvollziehbar und gerichtsfest begründen können, warum eine bestimmte Religionszugehörigkeit dazu zwingend notwendig sein soll“, sagte deren Leiterin Christine Lüders.

Die Gewerkschaft Verdi erklärte heute, dass damit bei verkündigungsfernen Tätigkeiten gelte, dass kirchliche Arbeitgeber bei Einstellungen ausschließlich die Qualifikation und Eignung berücksichtigen dürfen, wie Vorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte. Das sei jetzt auch gerichtlich überprüfbar.

Kirchen sehen sich bestätigt

Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung sieht sich bestätigt. Die Kirchen behielten das letzte Wort, wenn es darum gehe, ob sie für bestimmte Positionen eine Religionszugehörigkeit fordern dürften. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bleibe damit der wesentliche Faktor bei Abwägungsentscheidungen, erklärte Jörg Kruttschnitt, Rechtsvorstand des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht Licht- und Schattenseiten. Einerseits habe das Gericht den Grundsatz bestätigt, dass Kirche und Diakonie ihr Arbeitsrecht autonom gestalten könnten. Andererseits schränke das Urteil die nach dem Grundgesetz gewährleistete Gestaltungsfreiheit bei der Personalauswahl ein, erklärte der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, in Hannover.

Es müsse Sache der Kirche bleiben, die auf die Religion bezogenen Anforderungen für die berufliche Mitarbeit in Kirche und Diakonie aufzustellen. Die Gerichte eines religiös neutralen Staates hätten keine Instrumente, differenziert die Angemessenheit religiöser Anforderungen an die Mitarbeit in der Kirche zu beurteilen, wie es der EuGH nun erwarte.

Katholische Kirche will Einstellungspraxis prüfen

„Dort, wo es nach kirchlichem Selbstbestimmungsrecht möglich ist, sind selbstverständlich auch anders- oder nichtgläubige Menschen zur Mitarbeit im kirchlichen und diakonischen Dienst eingeladen“, sagte Anke. Dafür sei die kirchliche Rechtsordnung Ende 2016 bereits weiter geöffnet worden.

Die katholische Kirche will prüfen, ob sie ihre Einstellungspraxis anpassen muss. Die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn teilte mit, sie begrüße insbesondere die Klarstellung des Gerichts, „dass den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zusteht, über das religiöse Ethos der Religionsgemeinschaft zu befinden“. Die Kirche selbst lege ihr Selbstverständnis fest, nicht der Staat oder ein Gericht.

dpa/may

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