Politik

Klinisches Risikomanagement wird unterschiedlich gelebt

  • Donnerstag, 19. Januar 2023
/ipopba, stock.adobe.com
/ipopba, stock.adobe.com

Berlin – Instrumente des klinischen Risikomanagements (kRM) sind in den Krankenhäusern flächendeckend etabliert. Im klinischen Alltag werden sie jedoch sehr unterschiedlich gelebt. Das geht aus der Krankenhaus­studie zur Sicherheit durch Management innerklinischer Risiken 2021-22 (KHaSiMiR 21) hervor, die heute in Berlin vorgestellt wurde und an der sich 615 Krankenhäuser und Rehakliniken beteiligt haben.

„Das klinische Risikomanagement ist für die Krankenhäuser von hoher strategischer Relevanz“, erklärte Karl Blum, Vorstand des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). „Die Prozesse im Risikomanagement, wie Verfah­rensanweisungen und Abläufe, sind größtenteils klar definiert und dokumentiert.“

Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten seien mehrheitlich definiert und den Mitarbeitenden ver­bindlich zugeordnet. Bei kritischen Ereignissen oder Fehlern im Behandlungsverlauf würden den betroffenen Mitarbeitenden in den meisten Krankenhäusern Unterstützung angeboten, etwa Supervision oder psychoso­ziale Unterstützung.

Beschwerdemanagement durch Patienten

„Verbesserungspotenziale gibt es insbesondere bei der Zielorientierung des kRM“, erklärte Blum. „So sind ver­bindliche strategische und operative Ziele für das kRM nicht flächendeckend schriftlich festgelegt.“ Auch Fort­bildungen zum kRM würden vielfach nicht regelmäßig angeboten. Und die Wirksamkeit des kRM werde in den Häusern ebenfalls noch zu selten systematisch evaluiert.

Zur Risikobeurteilung setzen die Krankenhäuser Blum zufolge eine Fülle von Instrumenten ein. Neben den verpflichtenden gesetzlichen Meldesystemen kommen dabei vor allem das Beschwerdemanagement durch Patienten und Patientenbefragungen zum Einsatz.

„Auch Analysen von Daten zur externen Qualitätssicherung, eigener Kennzahlen, wie Sturzraten und Kompli­kationen, oder von Behandlungsschäden und -fehlern und interne Peer Reviews sind sehr weit verbreitet“, so Blum. „Fast jedes Krankenhaus nutzt mehrere Instrumente der Risikobeurteilung.“

Teilweise sei ihr Einsatz systematisch umgesetzt, teilweise mangle es aber noch an einer systematischen Umsetzung. Letzteres betreffe insbesondere komplexere Verfahren der Fall- und Risikoanalyse, externe Risiko-Audits oder Mitarbeiterbefragungen zur Sicherheitskultur.

CIRS-Systeme flächendeckend eingeführt

Critical Incident Reporting-Systeme (CIRS), also Meldesysteme für kritische Ereignisse für die Patientensicher­heit oder Beinahefehler, sind in den Krankenhäusern flächendeckend verbreitet: Ein internes CIRS steht in 95 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser zur Verfügung. Im Mittel werden darüber 54 kritische Ereignisse pro Jahr und Krankenhaus gemeldet.

Im Durchschnitt reicht etwa jede zweite Abteilung eines Krankenhaueses CIRS-Berichte ein. In aller Regel wer­den aus den CIRS-Analysen konkrete Maßnahmen abgeleitet und die Umsetzung der Maßnahmen auch überprüft. Über das interne CRRS hinaus beteiligen sich rund 90 Prozent der Allgemeinkrankenhäuser an einrichtungsübergreifenden Berichts- und Lernsystemen wie dem CIRS-Netz Deutschland.

„Trotz vieler Fortschritte in den letzten zehn bis 15 Jahren sehen die Krankenhäuser aber auch noch Verbes­serungsbedarf im kRM“, sagte Blum. „Dies betrifft unter anderem einen offeneren Umgang mit Fehlern und Schwachstellen, eine vermehrte Vernetzung und einen regelmäßigen Austausch zwischen Abteilungen und Leistungsbereichen eines Krankenhauses, klarere Regelungen für die Organisations- und Führungsstruktur im kRM sowie die systematische Struktur- und Prozessoptimierung des Risikomanagements.“

Ganz oben auf der Agenda

„Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass die Nutzung der unterschiedlichen Instrumente und die Ausprägung der Sicherheitskultur im klinischen Alltag stark variieren“, kommentierte die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Ruth Hecker.

Einerseits zeige die Studie deutlich auf – insbesondere im Vergleich der Jahre 2010-2015-2022 – dass in Deutschland die notwendigen Methoden und Instrumente implementiert worden seien. Andererseits werde aber auch deutlich, wo sich die Krankenhäuser noch verbessern könnten.

„Nur, wenn Sicherheitskultur ganz oben auf der Agenda steht, gelingt es, die Risiken bestmöglich zu beher­rschen und so das Gesundheitssystem für alle Beteiligten nachhaltig zu verbessern und resilienter zu gestal­ten“, sagte Hecker. „Im Wesentlichen geht es darum, mutig, offen und ehrlich über Fehler und mögliche Schä­den zu sprechen und vermeidbare unerwünschte Ereignisse von unvermeidbaren Ereignissen zu trennen.“

Eine Frage der Haltung

„Die Themen Patientensicherheit und Qualität der Behandlung müssen die Mitarbeitenden im Krankenhaus durchdringen“, betonte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß.

„Patientensicherheit ist eine Frage der Haltung und der Prioritätensetzung. Wir sehen in vielen Krankenhäu­sern, dass es trotz der schwierigen aktuellen Rahmenbedingungen möglich ist, beim klinischen Risikoma­nage­­ment gute Beispiele zu leben, in denen auch die Führung des Hauses klarmacht, dass das Thema Priorität hat.“

Wichtig sei es, dass Fehlermeldungen, die von den Mitarbeitenden gemacht werden, in den richtigen Gremien diskutiert würden und am Ende auch zu Konsequenzen führten. Von der Politik forderte Gaß, den Mitarbeiten­den im Krankenhaus Zeit dafür zu geben, ein gutes klinischen Risikomanagement auch leben zu können.

Regelmäßige Workshops

Die Leiterin der KHaSiMiR-Studie, Martina Schmiedhofer vom APS, berichtete abschließend von den Ergebnis­sen qualitativer Interviews, die mit kRM-Verantwortlichen in den Krankenhäusern geführt wurden.

„Bei einer negativen Fehlerkultur wird das Benennen von Risiken als Schuldkultur vermittelt, die zu Angst vor Fehlern, zu Unoffenheit und zu verminderten anonymen Meldungen führt“, resümierte sie die Ergebnisse der Gespräche. „Eine positive Fehlerkultur wird durch regelmäßige Workshops, Schulungen und Aufklärungsge­spräche erzielt. Im Alltag wird über mögliche Fehler und Risiken gesprochen.“

Als Barrieren gegenüber erfolgreichem kRM wurden Zeitmangel, Finanzmangel im Hinblick auf den Erwerb einer notwendigen Software und die geringe Bereitschaft genannt, Arbeitszeit für Sitzungen bereitzustellen.

„Gerade, wenn man Risikoanalysegespräche führen will, das geht ja nicht unter zwei Stunden, und wenn man das plant, schlagen die Chefärzte die Hände über den Kopf zusammen“, zitierte Schmiedhofer aus den Ge­sprächen. Als Förderfaktor wurde die Bereitstellung von zeitlichen und personellen Ressourcen beschrieben, die eine übergeordnete Zusammenarbeit ermöglichen.

„Als hohe Barriere wurde das Fehlen einheitlicher Definitionen sowie unzureichende Kenntnis­se der Thematik kRM identifiziert“, so Schmiedhofer weiter. „Die Krankenhausbeschäftigten sind mit dem Begriff vertraut, aber Unklarheiten über die einheitliche Bedeutung wurde als Hindernis effektiver Umsetzung benannt. Von Klini­ken mit mehreren Standorten wurden zudem fehlende Vergleichbarkeiten von Häusern untereinander bemängelt und mehr Kommunikation und Transparenz gewünscht.“

fos

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung