Blick ins Ausland

Komitee Deutsche Ärzte für die dritte Welt: Einsatz in Manila

  • Donnerstag, 21. Dezember 2006

Wenn ein Eimer Brunnenwasser so viel kostet wie zwei kleine Stückchen Kuchen, dann wird Waschen zum schwer finanzierbaren Luxus. Im Einsatz bei den „Deutschen Ärzten für die dritte Welt“ muss man sich diesen Umstand immer wieder vor Augen halten, will man verstehen, warum bei den Menschen in den Elendsgebieten um die Müllberge von Payatas in Manila jede kleine Wunde und jeder aufgekratzte Insektenstich vereitern und zum Ausgangspunkt für ausgedehnte Hautinfektionen werden. Mehrere superinfizierte Wunden an Füßen und Unterschenkeln sind bei den kleinen Patienten, die wegen der allgegenwärtigen Infektionen der oberen Luftwege in der „Rolling clinic“ vorgestellt werden, sehr häufig und gelten bei den Müttern nicht als behandlungsbedürftig (Abbildung 1). Der Hinweis, dass unter diesen Lebensumständen Hände und Füße unter Umständen mehrfach am Tag gewaschen werden müssen und abends ein Vollbad fällig ist, geht ins Leere. Schwere Furunkulosen (Abbildung 2) bei den vielfach mangelernährten (Abbildung 3) Kindern sind denn auch keine Seltenheit.

Manila, eine Menschenmasse, mehr als zehn Millionen, die außerhalb des Zentrums und den Vierteln der Wohlhabenden unter beengtesten Verhältnissen in Hütten aus Palettenholz, Karton, Wellblech und Hohlblocksteinen, vielfach mit Erdfußboden leben und deren Fäkalien großteils in oberflächlich gegrabene Sickergruben geleitet werden. Daneben Hunde, Katzen, Hühner, Ratten, deren Exkremente direkt in die Erdoberfläche eingearbeitet werden.

Der ungeheure, allgegenwärtige Dreck – bei den häufigen Regenfällen Matsch –, die im eigentlichen Wortsinn atemberaubende Luftverschmutzung in Manila. In diesem Alptraum leben und lachen Menschen mit einer Vitalität und einem Kinderreichtum ohnegleichen. Fünf Kinder sind normal, zehn Kinder noch nichts Besonderes, „family planning“ wird angesprochen und diskutiert und teilweise auch praktiziert. Erfolge sind bereits sichtbar, aber immer noch viel zu gering. Die Kinder werden von ihren Eltern liebevoll behandelt. Rührend ist der Zusammenhalt der Geschwister. Unvorstellbar hart ist das alltägliche Leben. Minimal bezahlte Gelegenheitsarbeit unter schwierigsten Arbeitsbedingungen ist die Regel. Eine Krankheit, ein Unfall: eine Katastrophe. Dieses Leben fordert einen hohen Tribut. 50-Jährige sind im Straßenbild schon selten, 60-Jährige müssen oft von ihren Angehörigen in die „Rolling clinic“ gebracht werden, sie sehen und hören schlecht. Auffällig häufig sieht man schon in dieser Altersgruppe mentale Verlangsamung.

Muss man nicht angesichts der ungeheuren Probleme von vornherein kapitulieren? Man kapituliert  nicht. Man ist Teil der Organisation „Komitee Deutsche Ärzte für die dritte Welt“, die vor mehr als 20 Jahren von Dr. Bernhard Ehlen, einem deutschen Jesuitenpater, ins Leben gerufen wurde. Hier wird  Ärzten die Möglichkeit gegeben, für sechs Wochen und länger an Brennpunkten des Elends in Afrika (Nairobi)  Indien (Kalkutta), Bangladesh (Dakha, Chittagong) und auf den Philippinen (Manila, Mindanao, Cebu) zu arbeiten, um unmittelbar vor Ort etwas zu tun und nicht nur Geld zu geben in der Hoffnung, dass irgendjemand, der es besser versteht, das Geld dann auch  den Bedürftigen zukommen lassen wird. Das Unbehagen vieler an sich durchaus bereitwilliger Geber bei dieser Art Spende ist ja unübersehbar geworden.

Auf dem ersten Orientierungstreffen  empfangen Pfadfinderambiente und schon einmal in ihre Verpackung recycelte Plätzchen die erstaunlich große Schar älterer und jüngerer dienstwilliger Mediziner in den geliehenen Souterrainräumen einer Frankfurter Kirchengemeinde.
Kollegen, die schon Einsätze geleistet haben, und Neulinge sind gleichermaßen vertreten. Spätestens bei dem Hinweis, dass für diese Informations- und Einweisungstreffen keinerlei Spendengelder der Organisation verbraucht werden, merkt man, dass man hier bei der etwas anderen Hilfsorganisation gelandet ist.

Der Kollege, der klinische Beispiele aus dem Arbeitsalltag vieler Einsätze vorstellt, zitiert immer wieder aus „dem blauen Buch“. Der Neuling stellt schnell fest, dass es sich hierbei nicht um die farbvariierte Sonderausgabe eines zeitgenössischen Revolutionsführers, sondern um die kleine blau eingebundene Broschüre handelt, die vor ihm auf dem Tisch liegt. Hier wird die auf „absolute basics“ reduzierte Medizin vor Ort prägnant und ohne Umschweife so beschrieben, dass der Arzt sie praktizieren kann. Vorsichtig beginnt man, sich etwas genauer umzusehen und stellt mit Erstaunen fest, dass der unscheinbare, auch schon etwas ramponierte Geselle neben einem ein außerordentlich erfahrener Fachmann ist. Viele gerade aus dem aktiven Berufsleben ausgeschiedene Kollegen mit jahrzehntelanger Erfahrung in unterschiedlichsten Bereichen der Medizin sind hier. Überall das Bestreben, sich so gut wie nur möglich vorzubereiten.
Man meldet sich zu einem Einsatz, wird zum eigenen Erstaunen bald eingeteilt, mit sehr ausführlichem Informationsmaterial versehen und zum Einsatzort geschickt. Dort kein karitatives Chaos, sondern ein großes, sauberes Gesundheitszentrum voller Patienten und zahlreiche einheimische Mitarbeiter, welche die Lage voll im Griff haben. 20 Minuten Vorstellungstour durch das Haus und der hereingeschneite Doktor sitzt an seinem Platz. Die Dolmetscherin wirft ihm noch einen prüfenden Blick zu, dann wird der erste Patient gerufen. Die draußen aufgenommene Kurzanamnese kündigt das Standardproblem „cough and cold“ an. Auskultation, Palpation, Inspektion von Ohren und Rachen, hat man ja auch als späterer Dermatologe gelernt, hat man in Klinik, Allgemeinarzt-Vertretung und vielen Jahren allgemeinem Notdienst in einer kleinen Stadt praktiziert.

Die medizinische Erfahrung vieler Jahre hilft. Auch auf der dunkleren Haut fallen die Zeichen der Anämie auf. Bei der angeblichen Fischallergie mit Gesichtschwellung bei einem 14-Jährigen passen die kalte Haut und der aschgraue Farbton nicht, man findet Unterschenkelödeme, und man veranlasst eine Urinuntersuchung, welche eine schwere Proteinurie ergibt. Also wahrscheinlich doch eine Glomerulonephritis. Bei den vielen Infektionen von Haut und Rachen hier keine Seltenheit. Sehr hilfreich der fachliche Kontakt mit den anderen Kollegen der Station. Viele Hautprobleme im Austausch gegen anderes. Man gehört dazu, ist nützlich. Schön.

Nach 14 Tagen in Manila zehn Arbeitstage auf der Insel Mindoro in einer „Rolling clinic“ bei den Mangyans, Angehörigen einer dortigen Urbevölkerung, die großteils in die weniger fruchtbare Bergregionen zurückgedrängt wurden. Sie führen dort in ihren charakteristischen Geflechthütten ein sehr karges Leben. Ihre Dörfer sind oft nur mit geländegängigen Fahrzeugen oder mit dem Auslegerboot zu erreichen, dafür ist die Luft viel besser als in Manila. Dennoch auch hier hauptsächlich Atemwegserkrankungen und noch mehr TB. Auch hier viele verschmutzte Wunden und Abszesspaltungen. Ebenso wie in den Elendsgebieten von Manila ist die Inzidenz von Aids noch gering.

Danach vier Tage zum Teil mit dem Auslegerboot auf Impftour in Mangyanfischerdöfern (Abbildung 4) an der Südspitze von Mindoro. Idyllische Landschaft, aber auch hier viele sehr kranke Patienten. Rückkehr nach Manila und weitere 14 Tage Behandlung von Patienten in den Müllgebieten von Payatas wie am Anfang.
Bei dem „Komitee Deutsche Ärzte für die dritte Welt“ handelt es sich um eine aus  Spenden finanzierte Organisation, die mit einer erschütternd kleinen Zahl auch noch vielfach ehrenamtlich tätiger Mitarbeiter von Deutschland aus an den oben genannten Orten eindrucksvoll funktionierende Gesundheitszentren eingerichtet hat, in denen die Ärmsten der Armen, die sich sonst keine medizinische Versorgung leisten können, behandelt werden.

Unterstützt durch eine Vielzahl fest angestellter, hoch motivierter einheimischer Mitarbeiter gibt diese bewährte Infrastruktur dem angereisten deutschen Arzt die Möglichkeit, am Tag nach seiner Ankunft sofort mit der Behandlung der Patienten zu beginnen. Man trifft also seine Spende gewissermaßen wieder in Form von einfacher, aber sinnvoller Ausrüstung und Medikamenten, die umsonst abgegeben werden. Man hat nie den Eindruck schon zu viel gegeben zu haben, sondern nur die schmerzliche Gewissheit, nicht genug geben zu können.

Kann ein deutscher Arzt, der sein Leben lang in Deutschland praktiziert hat und kein Spezialist für Tropenerkrankungen ist, in diesen Gebieten überhaupt etwas erreichen? Er kann. In den urbanen Regionen der dritten Welt, von denen hier hauptsächlich die Rede ist, sind eigentliche Tropenerkrankungen  eher selten. Es überwiegen bei den meist jungen Patienten Atemwegserkrankungen und Durchfallerkrankungen, wie man sie auch bei uns behandelt. Bei den erwachsenen, schwer arbeitenden Patienten sieht man hauptsächlich Schmerzzustände im Bereich des Bewegungsapparates. In allen Altersgruppen viele Pyodermien und kleinere Verletzungen. Darmerkrankungen, Pyodermien und Schäden im Bewegungsapparat kann man ja unter diesen Lebensumständen gut verstehen, aber warum gibt es in dem warmen Klima grippale Infekte wie bei uns im Februar?
In den beengten Wohnverhältnissen kommt es zur Ansteckung, die total verräucherte Luft in den Häusern mit  offenen Kochstellen tut ebenso wie die unerträgliche Luftverschmutzung ein Übriges, um Atemwegsinfektionen und asthmoide Zustände zu begünstigen. Wie auch bei uns gilt es, jeden Tag unter den vielen Routineerkrankungen das Besondere nicht zu übersehen. Immer muss man auch an Wurmerkrankungen und an die allgegenwärtige Tuberkulose denken. Es ist bedrückend, wie oft die Standardfrage nach Blut im Sputum bejaht wird. Viele dieser Patienten kommen aus dem Umfeld von bereits diagnostizierten TB-Patienten und haben sich in den beengten Wohnverhältnissen angesteckt. Wenigstens existieren Programme, in denen die Behandlung der TB-Patienten organisiert wird und wo die sechsmonatige Tabletteneinnahme von freiwilligen Helfern in den Gemeinden täglich überwacht wird. Man dilettiert also nicht bei der Behandlung von Tropenkrankheiten und Tuberkulose, man beginnt nicht halbherzige Chronikerbehandlungen, sondern man macht praktische Akutmedizin und leitet darüber hinausgehende Probleme in dem existierenden, allerdings außerordentlich bescheidenen Rahmen weiter.

Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung ist vorhanden, und die Bereitschaft etwas zu tun, ist groß. In den Zentren sieht man die Patientengruppen mit ihren verschiedenfarbigen T-Shirts stolz mit ihren ehrenamtlichen Betreuern im Hypertension Club, im TB-Club, im Diabetes Club.

Die Bereitschaft für einen Skin Care Club wäre sicher zu wecken. Einfache Anleitungen, wie mit wenigen Litern Wasser unter Anwendung einer Syndetseife Kinder gewaschen werden können, sind zu entwerfen. Das Wasser könnte in den hier sehr gebräuchlichen schwarzen 25-Liter-Kanistern in einigen Stunden in der Sonne leicht angewärmt werden. Das Geschrei mit kaltem Wasser gewaschener Kinder, welches den Autor an Ostern geweckt hat, als der Nachwuchs der ganzen Umgebung für die Feiertage fein gemacht wurden, wäre wohl nicht mehr zu hören.
 Wie Luby et al. (1) in Lancet 2005 berichteten, konnte in den Elendsgebieten von Karachi durch ein einfaches Handwaschprojekt bei Kindern die Inzidenz von Durchfall und Atemwegsinfektionen um 50 Prozent und die Inzidenz von Impetigoerkrankungen um 34 Prozent vermindert werden.
Wir können die Bedingungen nicht grundsätzlich ändern, aber hier ist ein kleines Teilproblem, wo Besserung möglich erscheint.

Dr. Heino Hügel

Literatur
1. Luby SP, Agboatwalla M, Feikin DR, Painter J, Billhimer W, Altaf A, Hoekstra RM: Effect of handwashing on child health: a randomised controlled trial. Lancet 2005; 366(9481): 225–33.

Dr. Heino Hügel

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