Künstliche Intelligenz kann menschliches Wissen beim Finden wissenschaftlicher Evidenz nicht ersetzen

Berlin – Künstliche Intelligenz (KI) kann Forscher bei der Suche nach wissenschaftlicher Evidenz unterstützen – mehr bislang aber nicht. Das erklärte Jörg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg sowie Direktor von Cochrane Deutschland kürzlich auf dem Wissenschaftlichen Symposium „50 Jahre Arzneiverordnung in der Praxis“ in Berlin.
Meerpohl betonte, dass die Suche nach Evidenz ein langer und aufwendiger Prozess sei. „Um ein Cochrane Review zu erstellen, sind zehn Schritte erforderlich“, sagte Meerpohl. „Dazu zählen unter anderem die Festlegung der Fragestellung, die Definition von Auswahlkriterien und Methoden, die Suche nach Studien, die Extraktion der Daten und das Bewerten des Biasrisikos der Studien.“
Zum Teil müssten mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die einzelnen Schritte unabhängig voneinander durchführen, um Fehler zu vermeiden und die Genauigkeit zu erhöhen. Auf die Frage, inwiefern KI die Forscher bei diesem Prozess unterstützen kann, sagte er: „Künstliche Intelligenz kann gut bei einer systematischen Recherche helfen“. „Es sieht so aus, als habe KI eine richtige Suchstrategie.“
Allerdings gebe es Limitationen bezüglich der Qualität und der Replikation. „Wenn man der KI zweimal die gleiche Frage stellt, bekommt man nicht zweimal die gleiche Antwort“, so Meerpohl. „Das ist für den Anspruch an Transparenz und Replizierbarkeit ein Problem.“
Sehr arbeitsintensiv sei bei der Suche nach wissenschaftlicher Evidenz das Screenen von Studien. „Dabei fängt man mit den Treffern an, die eine hohe Relevanz haben, und befasst sich mit den weniger relevanten Treffern am Ende“, sagte Meerpohl. „KI kann dabei unterstützen, das Screening frühzeitig zu beenden, wenn keine weiteren relevanten Referenzen mehr erwartet werden.“
Zudem könne Künstliche Intelligenz beim wissenschaftlichen Schreiben helfen. „Eine zukünftige Anwendung ist eine automatische Erstellung von Figuren, Tabellen und visuellen Elementen“, erklärte Meerpohl. „Menschliche Forscher bleiben aber notwendig zur Sicherstellung der Genauigkeit, Kohärenz und Glaubwürdigkeit. KI ersetzt nicht menschliches Wissen und Kreativität.“
Wichtigstes Publikationsorgan der AkdÄ
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, würdigte die Publikation „Arzneiverordnung in der Praxis“ (AVP) der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als wichtigstes Publikationsorgan der AkdÄ, in dem Entwicklungen der Medizin schnell aufbereitet und der Leserschaft kurzfristig zur Verfügung gestellt würden. Bis 2013 war die Publikation als eigenständige Zeitschrift in gedruckter Form im Abonnement beziehbar. Seit 2014 steht es allen Interessierten online zur Verfügung.
Der AkdÄ-Vorsitzende Wolf-Dieter Ludwig zeichnete in seiner Rede die historische Entstehung von „Arzneiverordnung in der Praxis“ nach. „Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts die industrielle Revolution die großtechnische Herstellung von Arzneimitteln auf Vorrat ermöglicht hatte, kam es schnell zu einer rapiden Neuentwicklung zahlreicher Arzneien und – damit einhergehend – zu einem exponentiellen Zuwachs der Werbung für diese Produkte“, erklärte Ludwig.
„Die Mehrheit dieser Arzneistoffe war allerdings so unwirksam und gefährlich, dass sie nach dem heutigen arzneimittelrechtlichen Standard niemals zugelassen worden wären.“ Anfang des 20. Jahrhunderts habe es weder klinische Prüfungen noch gesetzliche Regelungen für eine Zulassung für Arzneimittel gegeben, geschweige denn eine Regulierung des Vertriebs und der Werbung.
„Die daraus resultierenden Gefahren bei der Arzneimittelbehandlung führten 1911 zur Gründung der Arzneimittelkommission durch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, die Vororganisation der 1952 gemäß ihrem Statut als ständiger unabhängiger Ausschuss der Bundesärztekammer errichteten Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“, sagte Ludwig. „Wesentliches Ziel dieser Gründung war es, eine unabhängige ärztliche Institution zur Bewertung von Arzneimitteln zu schaffen.“
Ab 1925 habe die Kommission das Buch „Arzneiverordnungen“ herausgegeben, mit dem Ärztinnen und Ärzten erstmalig ein von unabhängigen medizinischen Sachverständigen verfasstes Nachschlagewerk zur Information und Beratung bezüglich einer rationalen Arzneimitteltherapie zur Verfügung stand.
„Um die Ärzteschaft zwischen den jeweiligen Neuerscheinungen dieses Buches kurzfristig und aktuell zu informieren, wurde 1974 ein ergänzendes Format entwickelt: ein mehrmals im Jahr erscheinendes ‚einfaches Mitteilungsblatt‘, das anhand von Kurzbeiträgen und Bekanntgaben zu aktuellen therapeutischen Problemen der Ärzteschaft eine ‚prägnante, wissenschaftlich korrekte und unabhängige Orientierungshilfe‘ bieten sollte“, so Ludwig.
„Seit nunmehr 50 Jahren steht AVP für unabhängige, transparente und zuverlässige Arzneimittelinformationen für die deutsche Ärzteschaft“, betonte Ludwig. „Für ein unabhängiges Arzneimittelbulletin sind 50 Jahre eine große Errungenschaft.
Denn dies bedeutet 50 Jahre kritische Auseinandersetzung mit Arzneimittelwerbung, verzerrten Informationen und angeblichen Expertenmeinungen.“ Eine sehr wichtige Basis dieses Erfolgs seien die Mitglieder der AkdÄ, die mit ihrer Expertise und ihrem ehrenamtlichen Engagement AVP seit einem halben Jahrhundert unterstützten.
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