Vermischtes

Küssen könnte Ausbreitung von Herpesviren vor mehreren tausend Jahren begünstigt haben

  • Donnerstag, 28. Juli 2022
/Tatjana Andrianova, stock.adobe.com
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Cambridge – Nach Ansicht von Wissenschaftlerinnen könnte das Aufkommen des Kusses als neuer Brauch vor tausenden von Jahren die Verbreitung des Herpesvirus (HSV)-1 – Auslöser des Lippenherpes – begünstigt ha­ben.

„Vor etwa fünftausend Jahren geschah etwas, das es einem Herpesstamm ermöglichte, alle anderen zu über­ho­len, möglicherweise eine Zunahme der Übertragungen, die mit dem Küssen in Verbindung stehen könnte“, sagte Christiana Scheib von der britischen University of Cambridge. Sie ist Ko-Autorin der Studie, die im Fachblatt Science Advances (2022, DOI: 10.1126/sciadv.abo4435) erschien.

Für die Studie analysierte das internationale Forscherteam etwa 3.000 DNA-Proben von archäologischen Funden. Die Wissenschaftler fanden nur in vier Fällen das Herpesvirus. Die älteste Probe komme von einem Mann, der in der russischen Uralregion lebte und aus der späten Eisenzeit vor etwa 1.500 Jahren stammte.

Bisher stammten die ältesten genetischen Daten für Herpes nach Angaben der Autoren von einer Probe aus dem Jahr 1925. Durch eine Sequenzierung der Genome und einem Vergleich zu Proben aus dem 20. Jahr­hun­dert habe man eine Mutationsrate und die Evolution des Virus abschätzen können.

„Gesichtsherpes versteckt sich lebenslang in seinem Wirt und wird nur durch oralen Kontakt übertragen, so dass Mutationen langsam über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg auftreten“, sagte Ko-Autorin Charlotte Houldcroft (ebenfalls Uni Cambridge).

Jede Primatenart habe eine Form von Herpes, sagte Scheib. Deshalb gehe man davon aus, dass auch Men­schen das Virus in sich trugen, seit sie Afrika verlassen haben. Das Küssen könnte später aber zu einer Ver­breitung des oralen Herpes beigetragen haben.

Die früheste bekannte Überlieferung des Küssens ist nach Angaben des Forscherteams ein Manuskript aus der Bronzezeit in Südasien. Der Brauch sei in der menschlichen Kultur bei weitem nicht universell.

Die Forschenden vermuten, dass der Kuss mit einer Wanderungsbewegung aus Eurasien nach Europa gekom­men sein könnte. Der Aufschwung des oralen Herpes könne mit dem Aufkommen der kulturellen Praxis des sexuellen und romantischen Küssens zusammengefallen sein.

Auch heutzutage ist der romantische Kuss übrigens nicht in allen Teilen der Welt verbreitet. Eine Studie des Kinsey Instituts an der Indiana University kam 2015 zu dem Ergebnis, dass es nur in 46 Prozent der 168 un­tersuchten Kulturen erfolgt (American Anthropologists 2015, DOI: 10.1111/aman.12286).

Insbesondere im Mittleren Osten, in Nordamerika und Europa werden demnach viele Küsse verteilt. Bei afri­ka­nischen Kulturen südlich der Sahara, auf Neuguinea oder in Zentralamerika spiele der mit Liebe und Sexu­alität verbundene Kuss eher keine Rolle.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden Herpeserkrankungen hauptsächlich durch zwei Vi­ren­typen verursacht: das Lippenherpes-Virus (HSV-1) und das Genitalherpes-Virus (HSV-2). Der Typ HSV-1, um den es auch in der Studie geht, wird über Mund-zu-Mund-Kontakt übertragen. Das Virus bleibt lebenslang im Körper, Symptome können immer wieder auftreten.

Der WHO zufolge sind etwa 3,7 Milliarden Menschen unter 50 Jahren mit diesem Herpesvirus infiziert.

dpa

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