Kundgebung vor Ärztetag macht auf Herausforderungen der Klimakrise aufmerksam

Leipzig – Die Politik müsse das Thema Hitze- und Klimaschutz gemeinsam mit der Ärzteschaft angehen. Das erklärte heute die sächsische Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) auf einer Kundgebung vor der Leipziger Nikolaikirche.
Im vergangenen Jahr habe Sachsen mit den Kommunen umfassend Hitzepläne erarbeitet, sagte Köpping kurz vor der Eröffnung des 129. Deutschen Ärztetages, die in der Nikolaikirche stattfand. Man habe in Sachsen ein stückweit angefangen, allerdings sei man noch am Anfang, räumte sie ein. Diese Pläne müssten nun in einem Gesamkonzept zusammengefasst werden.
Es gebe auch einen bundesweiten Hitzeplan, dies reiche aber noch nicht aus, sagte sie. Wichtig sei darüber hinaus, die ökonomische Bereinigung von Böden, Luft und Wasser mitzudenken. Hier habe die Politik noch einen weiten Weg zu gehen, erklärte Köpping.
Die Ministerin versprach: Das sächsische Gesundheitsministerium habe das Thema auf der Agenda, und für Sachsen soll ein Klimaschutzplan erarbeitet werden. Da dieses Vorhaben nicht „ganz einfach“ sei, brauche es Partner, um diese Punkte gemeinsam durchführen zu können, sagte sie in Richtung der Ärzteschaft.

Gemeinsam müssten auch die vielen parallel bestehenden Krisen angegangen werden, erklärte die Bundestagsabgeordnete und Leipziger Ärztin Paula Piechotta (Grüne) bei der Kundgebung „Ich finde es spannend, dass die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten und die Menschen in der Politik ähnlich überfordert sind“, erklärte sie.
Derzeit gebe es nicht nur die Gesundheits- oder Klimakrise, sondern „es kommt wahnsinnig viel zusammen“, sagte die Politikerin. „Wir müssen uns nicht entscheiden zwischen den Krisen, die wir bekämpfen“, betonte sie. Es gebe die Chance das Gesundheitswesen nicht nur klimaneutral, sondern auch sozial gerecht, nachhaltig und mit den Patienten und Beschäftigten im Mittelpunkt zu gestalten, betonte Piechotta.
Gesundheitliche Folgen des Klimawandels unbestreitbar
„Aufgrund der zunehmenden Veränderungen unserer Umwelt wird die zukünftige Medizin gar keine andere Wahl haben, als sich mit dem Klimawandel zu beschäftigen“ – mit diesem Appell richteten sich auch die Gruppen Ärztinnen und Ärzte in sozialer Verantwortung und Health for Future gemeinsam mit weiteren Klimaorganisationen an die Delegierten des diesjährigen Deutschen Ärztetages.

Die zunehmende gesundheitliche Gefährdung durch die Folgen des Klimawandels sei unbestreitbar, in den vergangenen Jahren sei es durch die Erderwärmung und den CO2-Anstieg nicht nur zu einer Erhöhung der Sterblichkeit, sondern auch zu einem Anstieg von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Nieren- und psychischen Erkrankungen gekommen.
Auch beim diesjährigen Ärztetag sei das Thema Klima- und Gesundheitsschutz von besonderer Wichtigkeit, betonten die Organisatoren der Kundgebung. Dies zeige sich an den Forderungen der Bundesärztekammer (BÄK), die etwa eine umweltgerechte Verordnung von Medikamenten und eine Verankerung des Themas Nachhaltigkeit im fünften Sozialgesetzbuch einschließen würden.
Die Ärztinnen und Ärzte in sozialer Verantwortung reichen ebenfalls mehrere Vorschläge zur Abstimmung auf dem Ärztetag ein. Dazu gehören Forderungen nach Maßnahmen zur Förderung der Resilienz und zur Verminderung des CO2-Ausstoßes.
Ärzteschaft muss Verantwortung zeigen
Auf die Klimakrise machte zudem auch der Ärztetagsdelegierte Robin Maitra von der Landesärztekammer Baden-Württemberg (ÄBW) im weißen Arztkittel aufmerksam. „Wir hoffen auf eine starke Unterstützung unserer Anträge vom Vorstand der Bundesärztekammer“, erklärte er. Klimaschutz müsse weiter auf der Tagesordnung bleiben und die Ärzteschaft dürfe das Thema nicht aus dem Fokus nehmen.

Er setzt sich für eine klimaresiliente Versorgung im ärztlichen Alltag ein sowie eine praktische Umsetzung von Hitzeaktionsplänen. „Die Ärzteschaft kann dieses Thema in die Breite tragen und ist ein Vertrauensgeber für die Patientinnen und Patienten.“ So könnten Ärztinnen und Ärzte beispielsweise Diabetiker hinsichtlich Ernährung und Bewegung auch auf klimafreundliche Möglichkeiten hinweisen.
Der jungen Ärztin Pauline Graichen aus Marburg ist insbesondere das Thema Müll in den Kliniken ein Dorn im Auge. „Der Fokus in den Krankenhäusern liegt nicht darauf, energie- und müllarm zu arbeiten“, bemängelte sie. Insbesondere bei sterilen Produkten gebe es viele Einwegprodukte, auch weil der Sterilisierungsprozess personalaufwändig und teuer sei.
„Es zeigt die wirtschaftliche Absurdität, dass es günstiger ist, Einwegprodukte zu benutzen“, sagte Graichen am Rande der Kundgebung. Teilweise gebe es bereits Firmen, die Mehrwegprodukte anbieten würden, aber noch zu wenig.
Klimafreundliche Alternativen im OP nutzen
Ein weiteres Problem seien beispielsweise klimaschädliche Narkosegase, die nach wie vor im OP genutzt werden, kritisierte auch Tobias Bokowski, Medizinstudent an der Universität Hamburg. Allerdings gebe es klimafreundliche Alternativen, diese müssten künftig stärker genutzt werden. Und: Hitze sei in vielen Kliniken sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für das Personal ein Problem, weil es schlicht zu heiß in den Räumlichkeiten wird, berichtet Graichen.
Besonders betroffen von klimabedingten Auswirkungen auf die Gesundheit seien vulnerable Gruppen wie Obdachlose, ältere und ärmere Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen, erklärte eine Aktivistin von Fridays for Future. Die Klimakrise sei deshalb auch eine Gerechtigkeitskrise. An die Delegierten des Deutschen Ärztetages appellierte sie, alles dafür zu geben, um Menschenleben zu retten. „Das Gesundheitswesen muss mit dem Klimaschutz Hand in Hand gehen“, mahnte sie an.
Eine Vertreterin des Vereins Superblocks Leipzig machte auf die Bedeutung einer klimaangepassten Stadtentwicklung aufmerksam. Stadtentwicklung sei auch Gesundheitsvorsorge: Um die Auswirkungen des Klimawandels für die Bevölkerung abzumildern, müsse man mit Projekten vor der Haustür anfangen, die alle Menschen erreichten. Dies sei besonders wichtig für Menschen, die keine Lobby hätten. „Die Belastungen treffen vor allem die, die ohnehin schon diskriminiert sind“, sagte sie. Um Veränderungen zu erwirken, müssten alle mitreden können.
„Ich möchte als Oma nicht nur Apfelkuchen backen, ich möchte, dass meine Enkel auch noch Äpfel haben“, sagte eine Aktivistin der Gruppe Omas for Future. Die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen würden durch den Klimawandel langsam schwinden, die Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Gesundheit seien offensichtlich. Klimaschutz bedeute auch Gesundheitsschutz. Deshalb sei es wichtig, dass sich Ärztetag und Politik für gesunde Lebensbedingungen einsetzten und stark machten.

Studierende fordern gerechteres Gesundheitssystem
Bei der Kundgebung waren auch einige Medizinstudierende der Universität Leipzig, die mit Transparenten ein gerechteres, solidarisches Gesundheitssystem für alle Menschen forderten. Die Studierenden der Hochschulgruppe KritMed Leipzig, das für „Kritische Medizin“ steht, beschäftigen sich mit aktuellen gesundheitspolitischen Fragen, berichtet der Student Ludwig.
Den Studierenden mache es etwa Angst, dass die Politik sich derzeit mehr auf Aufrüstung konzentriert, anstatt die Gesundheitsversorgung zu stärken, erklärte er. Die Studierenden beäugen zudem die Krankenhausreform kritisch und befürchten, dass die Gesundheitsversorgung durch Standortschließungen kleinerer Krankenhäuser schlechter werde. „Das DRG-System muss abgeschafft werden“, forderte der Student. Stattdessen brauche es ein Selbstkostendeckungsprinzip für die Finanzierung der Kliniken.

Die Hochschulgruppe setzt sich weiter für die Einführung einer Bürgerversicherung ein und will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Menschen ohne Krankenversicherung, darunter auch Geflüchtete, eine gute Gesundheitsversorgung benötigen. „In unserem Gesundheitssystem gibt es erst Geld, wenn man krank ist“, kritisierte Ludwig von KritMed Leipzig weiter. Es fehle der Fokus auf Prävention.
Im Vorfeld des Hitzeaktionstags am 4. Juni machte auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) heute auf die gesundheitlichen Gefahren durch Hitze aufmerksam. Insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen müssten in den Blick genommen werden.
„Menschen mit psychischen Erkrankungen sind besonders anfällig für gesundheitliche Hitzefolgen“, erläuterte Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, DGPPN-Präsidentin. „Gerade für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ist es häufig schwierig, sich selbstständig und effektiv vor Hitze zu schützen; psychische Erkrankungen gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für hitzebedingte Todesfälle.“ Es brauche etwa kühle Orte in den Städten. Hitzeereignisse müssten in der Stadtplanung und in der Krankenhausinfrastruktur berücksichtigt werden.
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