Long-COVID-Prävalenz laut vorläufiger Daten aus Süddeutschland bei maximal 30 Prozent

Freiburg – Die Prävalenzen zu Long COVID bei Erwachsenen variieren in Studien von etwa 2 % bis hin zu mehr als 60 %. Die Nachbeobachtungszeit der meisten Studien ist jedoch mit bis zu 3 Monaten nach Akuterkrankung relativ kurz.
Die noch nicht publizierte Auswertung der 1. Phase der EPILOC-Studie (Nachtrag 16.3., MedRxiV 2022; Nachtrag 14.10. BMJ 2022), die im August 2021 gestartet wurde, deutet nun auf eine Prävalenz von 20 bis 30 % auch jenseits von 6 Monaten nach Akutinfektion hin. Die Ergebnisse sollen in Kürze als Preprint erscheinen. Sie basieren auf einer bevölkerungsbasierten Befragung bei ehemals mit COVID-19 infizierten Erwachsenen in bestimmten Kreisen in Baden-Württemberg. Eine Kontrollgruppe gab es nicht. Es wurden jedoch nur Beschwerden berücksichtigt, die nicht bereits vor der Akutinfektion bestanden.
Mithilfe der zuständigen Gesundheitsämter wurden an die im Zeitraum Oktober 2020 bis März 2021 an Corona erkrankten Menschen im Alter von 18 bis 65 Jahre Fragebögen postalisch verschickt. Darin wurden Angaben zur damaligen SARS-CoV-2-Infektion, zur Entwicklung der Beschwerden und zur aktuellen Gesundheitssituation, Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität abgefragt. Mehr als 12.000 Personen haben an der Erhebung teilgenommen – die Rücklaufquote lag somit bei 25 %.
Eine „rasche körperliche Erschöpfung“ war mit 32 % das am häufigsten genannte Einzelsymptom, berichtete der Projektleiter Winfried Kern vom Universitätsklinikum Freiburg dem Deutschen Ärzteblatt auf Anfrage. Weiter häufig genannte Einzelbeschwerden waren Konzentrationsstörungen, Luftnot, chronische Müdigkeit, Geruchsstörungen und Gedächtnisprobleme.
„Häufig wurden mehrere Symptome im Sinne eines Symptom-Clusters gemeinsam genannt, zum Beispiel Konzentrationsstörungen mit Gedächtnisproblemen oder Verwirrtheit. Speziell dieses Symptom-Cluster und auch Müdigkeit/rasche körperliche Erschöpfung waren deutlich mit reduzierter Arbeitsfähigkeit assoziiert“, erläuterte Kern.
In der im Dezember 2021 gestarteten Phase 2 der EPILOC-Studie ist eine medizinische Nachuntersuchung geplant. Auf Selbstauskünfte per Fragebogen alleine möchte man sich dabei nicht verlassen. Vor allem die Klagen über Erschöpfung und neurokognitive Einschränkungen verlangen weitere Untersuchungen inklusive kardiopulmonaler Funktionstests unter Belastung.
Je nachdem, wie man das Post-COVID-Syndrom im Detail definieren würde (siehe Kasten) ergibt sich aus der EPILOC-Studie eine geschätzte Prävalenz 6 bis 12 Monate nach Akutinfektion in der Größenordnung von 20 bis 30 %. Rund die Hälfte der damals Infizierten hatte zum Zeitpunkt der Studie keinerlei gesundheitliche Probleme mehr, es wurde auch keine reduzierte Arbeitsfähigkeit und kein eingeschränkter allgemeiner Gesundheitszustand angegeben. Bei ihnen ist die Infektion offenbar folgenlos abgeheilt. Von den sonstigen Studienteilnehmenden wurden noch Beschwerden angegeben, die wenig einschränkend sind beziehungsweise wenig spezifisch sein dürften, erläutert der Infektiologe Kern.
Wieviel Zeit seit der Infektion vergangen war (6 bis 12 Monate) beeinflusste die Prävalenz kaum, fasste Kern die vorläufigen Ergebnisse zusammen und weiter: „Hingegen konnten wir beobachten, dass eine schwerere Akutinfektion und auch das weibliche Geschlecht mit höheren Prävalenzen verknüpft war.“
Etwas schwächer und teilweise auch nur für bestimmte Symptomcluster wirkten sich folgende Faktoren auf eine zunehmende Long COVID Prävalenz aus: Ein höheres Risiko hatten unter anderem Raucher, Menschen mit bestimmten Grundkrankheiten, wie etwa seelische Vorerkrankungen oder Übergewicht.
Das Alter hatte einen eher geringen Einfluss. Menschen älter als 65 Jahre wurden jedoch bewusst nicht in die Studie eingeschlossen. Zur Bedeutung der Impfung nach der Akutinfektion auf die Beschwerdehäufigkeit lasse sich noch keine zuverlässige Aussage machen, so Kern.
Tatsächliche Prävalenz könnte niedriger sein
Man könne davon ausgehen, dass die tatsächliche, als direkte Folge der SARS-CoV-2-Infektion zu interpretierende Prävalenz etwas niedriger liege – das zumindest zeigen andere Studien, bei denen eine solche Kontrollgruppe mituntersucht wurde, räumt Kern ein und fügt hinzu: Ideal wäre eine Population von Test-negativen Individuen gleichen Alters aus derselben Region gewesen, die zum selben Zeitpunkt einen SARS-CoV-2-Test durchgeführt hatten.
„Leider war es uns nicht möglich, eine solche Kontrollgruppe zu untersuchen“, sagte er. Bezüglich der Frage nach Risikofaktoren für das Post-COVID-Syndrom sei jedoch die Phase 2 unserer EPILOC-Studie sehr gut geeignet, da nun „Fälle“ mit bleibenden Beschwerden mit inzwischen gesunden ehemals infizierten Kontrollpersonen vergleichend untersucht werden könnten.
Die Phase 2 der EPILOC-Studie soll im Juli 2022 abgeschlossen werden. Geplant seien umfangreiche Nachuntersuchungen mit 1.000 Verdachtsfällen und einer ähnlichen Zahl von Kontrollpersonen, berichtete Kern. Die Einladungen an eine der 4 beteiligten Universitätskliniken sind fast alle verschickt. Die Resonanz sei sehr gut.
Aufgrund der dabei auch geplanten Laboruntersuchungen sei mit der Auswertung dieser Phase aber erst zum Ende des Jahres zu rechnen. Kern hält auch eine erneute Befragung der Teilnehmer aus Phase 1 für sehr sinnvoll. So könne man für den Langzeitverlauf eine erste prognostische Einschätzung abgeben.
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