Medizintouristen importieren Antibiotikaresistenzen

Cardiff – Auf dem indischen Subkontinent haben sich gefährliche Antibiotikaresistenzen ausgebreitet, die gegen Reservemittel aus der Gruppe der Carbapeneme unempfindlich sind.
Laut einer Studie in Lancet Infectious Diseases (2010; doi: 10.1016/S1473- 3099(10)70143-2) sind die Erreger auch nach Europa gelangt – vornehmlich über Medizintouristen, die sich in Indien oder Pakistan stationär behandeln ließen.
Indien hat sich in den letzten Jahren zu einem Zentrum des Medizintourismus entwickelt. Jährlich reisen mehr als 150.000 Menschen ein, um sich zumeist an einer Privatklinik einer elektiven Operation zu unterziehen. Die Patienten kommen aus den Golfstaaten, aber auch aus den USA und Europa.
In der Klinik laufen sie Gefahr sich mit Krankheitserregern zu infizieren, gegen die auch die Antibiotika im Heimatland unwirksam sind. Sorgen bereitet den Infektiologen eine Carbapenem-Resistenz bei Enterobakterien, vor allem bei Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae.
Das Resistenz-Gen befindet sich auf einem Plasmid, also einem außerchromosomalen Teil des Erbguts, der leicht an andere Bakterien (auch einer anderen Spezies) weitergegeben werden kann. Es kodiert die sogenannte New Delhi Metallo-beta-Laktamase (NDM 1).
Die Erreger sind resistent gegen Fluorochinolone, Aminoglykoside und Beta-Laktam-Antibiotika, zu denen auch die Carbapeneme gehören. Colistin und Tigezyklin bleiben wirksam, doch die therapeutischen Möglichkeiten sind stark eingeschränkt.
Auf dem indischen Subkontinent sind die Resistenzen offenbar weit verbreitet, wie die Analysen von Timothy Walsh von der Universität Cardiff in Wales vermuten lassen. In der ostindischen Stadt Chennai (dem früheren Madras) und im nordindischen Bundesstaat Haryana wiesen 1,5 Prozent beziehungsweise 8 Prozent aller untersuchten Isolate die NDM 1-Resistenz auf. Und auch in anderen Regionen Indiens und Pakistans wurden Isolate positiv getestet.
In den Jahren 2008 und 2009 sind in Großbritannien etwa 50 NDM-1-resistente Isolate von E. coli oder Klebsiella aufgetreten. Bei vielen Patienten war die Reiseanamnese positiv: Sie hatten im Jahr vor der Erkrankung (zumeist Harnwegsinfektionen) Indien besucht und sich dort operieren lassen.
Die Zahlen sind gering, der rapide Anstieg in den letzten Jahren und vor allem die Assoziation mit einem Medizintourismus sind aus Sicht der Kontrollbehörde Health Protection Agency (HPA) jedoch bedenklich. Co-Autor David Livermore vom HPA Centre for Infections meinte, bei einer Ausbreitung der Erreger bestehe die ernstzunehmende Gefahr, dass Infektionen bei vielen Patienten nicht mehr mit „guten“ Antibiotika behandelt werden könnten.
Bei den britischen Patienten war allein noch Colistin wirksam, ein älteres Antibiotikum, das wegen seiner Neuro- und Nephrotoxizität ungern eingesetzt wird. Dass die NDM 1-Resistenz bei E.coli, dem häufigsten Erreger von Harnwegsinfektionen, auftrat, könnte einer raschen Verbreitung in den Industrieländern Vorschub leisten, befürchtet auch Johann Pitout von der Universität in Calgary/Kanada im Editorial (Lancet Infectious Diseases 2010; doi: 10.1016/S1473- 3099(10)70168-7).
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: