Politik

Missbrauchs­beauftragter kritisiert fehlenden politischen Willen, Betroffenen unbürokratisch zu helfen

  • Freitag, 22. Mai 2015
Uploaded: 22.05.2015 14:58:04 by mis
Johannes-Wilhelm Rörig /dpa

Berlin – „Ich freue mich, dass sich Betroffene jetzt mit einem eigenen Expertengremium in meine Arbeit und die politischen Prozesse auf Bundesebene einbringen“, sagte der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, heute in Berlin. Die Zusammenarbeit sei eine große Bereicherung bei der notwendigen Weiterentwicklung der Hilfen, der Prävention, des Sexualstrafrechts und der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung.

Anlässlich seiner ersten Arbeitssitzung trat der neue Betroffenenrat heute gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragten erstmals an die Öffentlichkeit. Dem Rat gehören 15 Mitglieder aus dem gesamten Bundesgebiet an, darunter zehn Frauen und fünf Männer zwischen 20 und 60 Jahren. Die Mitglieder verfügen neben ihrem eigenen Hintergrund auch durch ihr berufliches Engagement oder ihre Aktivitäten in der Selbsthilfe über vielfältige Erfahrungen zum Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs.

Eines der zentralen Themen auf der ersten Arbeitssitzung des Betroffenenrates waren die bestehenden Hilfesysteme von Bund und Ländern: Die ergänzenden Hilfesysteme für Betroffene in der Familie und in Institutionen dürfen erst dann eingestellt werden, wenn das Opferentschädigungsgesetz (OEG) reformiert sei, entsprechend der Empfehlung des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“, forderte der Betroffenenrat. Betroffene müssten dringend besser darüber informiert werden, welche Hilfen sie erhalten können.

40 Millionen Euro fehlen in dem Fonds für Betroffene von sexuellem Missbrauch
Drei Bundesministerinnen haben 2011 nach Abschluss des Runden Tisches ein schnelles und unbürokratisches Hilfesystem und einen 100 Millionen Euro Fonds für Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Familie (FSM) versprochen. „Darin fehlen immer noch über 40 Millionen Euro von 14 Ländern, und der Fonds wird bisher viel zu wenig beworben“, kritisierte Rörig.  

Aktuell bestehe sogar die Gefahr, dass die von Betroffenen dringend benötigten Finanzmittel in 2016 zurück in die Staatskassen flössen. Bisher wurde aus dem FSM erst rund ein Zehntel der Mittel abgerufen. Sollte der Fonds wie geplant in 2016 auslaufen, bevor das reformierte OEG in Kraft getreten ist, „fallen Betroffene erneut in ein Vakuum aus falschen Versprechungen und fehlenden Hilfen“, so Rörig. „Bis das neue Gesetz gilt, müssen der Hilfefonds und das ergänzende Hilfesystem weitergehen“.

Für das ergänzende Hilfesystem für Betroffene in Institutionen (EHS) konnten bisher nur mit den Kirchen, der Diakonie, dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Vereinbarungen getroffenen werden. Für Betroffene sei nicht nachvollziehbar, so Rörig, dass für Missbrauchsfälle, die in Schulen und anderen Einrichtungen der Länder stattgefunden haben, mit den Ländern bis heute keine Eini­gung erzielt werden konnte. Auch ein Fonds für Betroffene in psychiatrischen Einrich­tungen oder Einrichtungen der Behindertenhilfe wurde bisher von den Ländern abgelehnt. „Es fehlt offensichtlich vielerorts an politischem Willen, Betroffenen von sexueller Gewalt unbürokratisch zu helfen.“

Unabhängige Aufarbeitungskommission soll Anfang 2016 starten
Zuversichtlich zeigten sich Betroffenenrat und Missbrauchsbeauftragter, dass die Unab­hängige Aufarbeitungskommission Anfang 2016 starten wird. Die Bundesregierung soll den Beauftragten unterstützen, um die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs fortzuführen. Hierfür soll eine Aufarbeitungskommission eingesetzt werden. Den ent­sprechenden Antrag der Regierungsparteien verabschiedete der Familienausschuss am Mittwoch.

„Wir brauchen dringend eine breite gesellschaftliche Debatte, damit die riesige Dimen­sion von sexueller Gewalt von der breiten Öffentlichkeit und von großen Teilen der kinderschutzfernen Politik wahrgenommen und die Prioritätensetzung zugunsten Prävention und Hilfen geändert wird“, erklärte Rörig. Eine Kommission könne Ausmaß und Ursachen von Missbrauch in Institutionen und in der Familie untersuchen und dazu beitragen, dass die Gesellschaft informierter, sensibler und verantwortungsvoller mit dem Thema umgehe.

pb

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