Medizin

Mit neuem Index künftig weniger verschobene elektive Eingriffe in Krisensituationen

  • Montag, 7. November 2022
/Damian, stock.adobe.com
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Birmingham − Ein internationales Forschungsteam hat einen Index, den Surgical Preparedness Index, entwi­ckelt, mit dessen Hilfe sich Krankenhäuser besser auf Pandemien und Katastrophen vorbereiten können. So soll künftig die Zahl der weltweit in Krisensituationen verschobenen und abgesagten elektiven Eingriffe ge­senkt werden.

Die Ergebnisse einer im Lancet (2022, DOI: 10.1016/S0140-6736(22)01846-3) publizierte Studie zeigen unter anderem, dass der Index mit 23 Fragen weltweit eingesetzt werden kann und einfach anzuwenden ist.

Die COVID-19-Pandemie hat in vielen Bereichen Lücken aufgedeckt. Das gilt auch für die chirurgische Versor­gung weltweit. So warten derzeit mehr als 200.000.000 Menschen auf geplante Operationen. Daher entwi­ckelte ein internationales Forschungsteam ein einfach anzuwendendes Instrument, um künftig die chirurgi­sche und anästhesiologische Versorgung bei Pandemien, Naturkatastrophen oder Kriege verbessern bezieh­ungsweise stärken zu können.

Der von dem Team geschaffene Surgical Preparedness Index (SPI) basiert auf einem Fragebogen, der 23 Aspekte umfasst. Eine Gruppe von 69 Chirurgen, Anästhesisten und Intensivmedizinern aus 32 Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen hatte diese Indikatoren aus 103 Kandidaten ausgesucht. Zu den 23 Kernindikatoren gehören etwa die Infrastruktur, Ausstattung, die personelle Situation sowie interne Ab­läufe bei elektiven Eingriffen in den jeweiligen Krankenhäusern.

Für jeden Aspekt können Punkte im Wert von 1 (sehr schwach) bis 5 (sehr stark) vergeben werden. Damit er­geben sich SPI-Ergebnisse zwischen 23 (am wenigsten vorbereitet) und 115 Punkten (am besten vorbereitet).

Im nächsten Schritt wurde der SPI in 1.632 Krankenhäusern von 4.714 Ärzten in 119 Ländern evaluiert. Etwas weniger als die Hälfte der Krankenhäuser lag in Ländern mit mittlerem (MIC, 41%) oder niedrigem Einkom­men (LIC, 4%). Der ermittelte durchschnittliche SPI-Wert betrug insgesamt 84,5 (95-%-Konfidenzintervall [KI] 81,1-84,9). Dieser schwankte zwischen Ländern mit hohem Einkommen (HIC) mit 88,5 (95-%-KI 89,0-88,0), MIC mit 81,8 (95-%-KI 82,5-81,1) und LIC mit 66,8 (95-%-KI 64,9-68,7) teils erheblich.

Mit der COVID-19-Pandemie als Beispiel für einen externen Systemschock verglich das Team den SPI der Krankenhäuser mit dem geplanten Operationsvolumen (SVR). Sie berechneten dafür das Verhältnis aus der Zahl der durchgeführten Operationen im Zeitraum vom 06.06. bis 05.08.2021 und aus der erwarteten Anzahl der Operationen basierend auf Daten vom gleichen Zeitraum 2019.

Bei etwa drei Viertel der Krankenhäuser (74,6 %) war die eigentlich zu erwartende Zahl der elektiven Ein­griffe in der Pandemie nicht haltbar – darunter 51,4 % in HIC, 44,2 % in MIC und 4,4 % in LIC.

In einer Analyse ermittelte das Team, dass eine Steigerung des SPI um 10 % mit einem Anstieg der elektiven Eingriffe um 3,6 % verbunden war (95-%-KI 3,0-4,1; p < 0,0001). Das galt sowohl für HIC mit 4,8 % (95-%-KI 4,1-5,5; p < 0,0001), MIC mit 2,8 % (95-%-KI 2,0-3,7; p < 0,0001) als auchLIC mit 3,8 % (95-%-KI 1,3-6,7; p < 0,0001).

„Der neue Index kann Krankenhäusern auf der ganzen Welt dabei helfen, sich besser und gezielter auf außer­gewöhnliche Belastungen vorzubereiten“, kommentiert Alfred Königsrainer von der Universitätsklinik für All­gemeine Chirurgie in Tübingen die Studienergebnisse.

Das müsse keine Pandemie sein. Hitzewellen, Naturkatastrophen oder auch kriegerische Auseinandersetzun­gen und Flüchtlingswellen stellten eine erhebliche Belastung dar. Er sei überzeugt, dass die regelmäßige An­wendung eines solchen Instruments Krankenhäusern auf der ganzen Welt dabei helfen könne, sich auf die Herausforderungen der Zukunft besser vorzubereiten.

„Trotz solcher erschwerten Umstände könnten dadurch zukünftig Wartelisten für Operationen verkürzt und Verzögerungen bei der operativen Versorgung von Patientinnen und Patienten vermieden werden.“

Ähnlich sieht das Markus Löffler ebenfalls vom Universitätsklinikum Tübingen, der an der Publikation betei­ligt war: „Dieser Index ist bisher das einzige gut validierte Instrument überhaupt, mit dem die chirurgische Versorgungssicherheit bei besonderen Belastungen strukturiert beurteilt werden kann.“

So ließen sich zielgerichtet Maßnahmen definieren und bereits vorausschauend in die Sicherstellung der chirurgischen Versorgung investieren. „Eine breite Anwendung vorausgesetzt, kann dieser Index dabei helfen, die chirurgische Versorgung auf der ganzen Welt zu verbessern.“

Krankenhäuser sollten den SPI jährlich erfassen, schlagen die Autoren vor, um so Bereiche zu identifizieren, die verbessert werden können, die Belastbarkeit zu erhöhen und Kapazitäten für die Durchführung der verschobenen Opertaionen bereitzustellen. Zudem sei es ratsam, in Studien den SPI in LIC zu überprüfen.

aks

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