Mögliche Erklärung für funktionellen Schwindel gefunden

München – Patienten mit funktionellem Schwindel haben Probleme in der senso-motorischen Verarbeitung im Gehirn, die denen von Personen mit organischen Schwindelursachen ähneln. Der funktionelle Schwindel könnte daher auf einer fehlerhaften Verarbeitung von Wahrnehmungsreizen beruhen. Das berichten Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) in der Fachzeitschrift Progress in Brain Research (doi 10.1016/bs.pbr.2019.02.006).
Patienten, die unter funktionellem Schwindel leiden, haben oft eine Odyssee zu unterschiedlichen Ärzten hinter sich, weil sich keine organischen Ursachen für den Schwindel feststellen lassen. In einer experimentellen Pilotstudie mit acht an funktionellem Schwindel Erkrankten und elf Gesunden als Vergleichsgruppe konnte die Arbeitsgruppe um Nadine Lehnen von der Psychosomatik am TUM-Universitätsklinikum rechts der Isar jetzt mögliche Ursachen klären.
Die Versuchsteilnehmer saßen während des Experiments in einem dunklen Raum, wo in schnellem Wechsel links oder rechts an der Wand Lichtpunkte erschienen, zu denen sie blicken sollten. Die Augen- und Kopfbewegungen während der Blickbewegung wurden erfasst. Anschließend erhielten sie einen Helm mit Gewichten, um die Trägheit des Kopfes zu verändern. Beim Drehen wackelte der Kopf dadurch stark. Das Experiment wurde mit und ohne Helm durchgeführt.
Während die Gesunden ihre Bewegung schnell an die neuen Gegebenheiten anpassten und der Kopf bald nicht mehr wackelte, taten sich alle Probanden mit funktionellem Schwindel schwer. Sie verhielten sich dabei ebenso wie die Probanden mit massiven organischen Schwindelursachen.
„Unsere Ergebnisse machen beeindruckend klar, dass sich funktioneller Schwindel so äußert wie schwere körperliche Erkrankungen, zum Beispiel nach komplettem Verlust der Funktion der Gleichgewichtsnerven. Das spiegelt wider, wie stark diese Menschen eingeschränkt sind“, sagte Lehnen.
Laut der Arbeitsgruppe liefert das Experiment eine mögliche Erklärung für funktionellen Schwindel: Auf der Basis von Vorerfahrung bilden Menschen eine Erwartung über die sensorischen Eindrücke, die durch eine Bewegung entstehen.
Diese Erwartung wird mit den Informationen zum Beispiel von den Gleichgewichtsorganen verglichen. Verhält sich der Kopf anders als normal, passen beide Informationen nicht mehr zusammen.
„Gesunde können diesen Fehler problemlos wahrnehmen, verarbeiten und ihre Bewegung anpassen. Bei funktionellen Schwindelpatienten scheinen die senso-motorischen Eindrücke jedoch nicht korrekt verarbeitet zu werden. Sie verlassen sich primär auf ihr gespeichertes Modell, das aber nicht mehr zur neuen Realität passt“, so Lehnen. Sie kündigte an, die Ergebnisse der Pilotstudie in einer größeren Untersuchung noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
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