Morbi-RSA: Deckungslücken bei bestimmten Versichertengruppen

Berlin – Bei der Berücksichtigung bestimmter vulnerabler Versichertengruppen im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) existieren Mängel, die eine teils deutliche Unterdeckung dieser Gruppen bewirken.
Dem Gutachten des Forschungsinstituts für Medizinmanagement (EsFoMed) und des Lehrstuhls für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen zufolge decken die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht die Ausgaben für Pflegebedürftige, Arbeitslose, Erwerbsminderungsrentner und zuzahlungsbefreite Versicherte.
Das vom AOK-Bundesverband beauftragte wissenschaftliche Gutachten stellt bei diesen vier vulnerablen Versichertengruppen eine „systematische Unterdeckung“ fest.
Die größte Unterdeckung weisen Pflegebedürftige mit 86,2 Prozent auf – wobei diese durchschnittliche Unterdeckung den Daten nach ein Problem im ambulanten Bereich, und hier insbesondere der hochgradig Pflegebedürftigen, ist. Bei stationär betreuten Pflegebedürftigen besteht im Gegenteil sogar eine leichte Überdeckung.
Unterdeckt sind laut Analyse auch zuzahlungsbefreite Versicherte (89 Prozent), Erwerbsminderungsrentner (90,5 Prozent) sowie ALG-II-Beziehende (95,3 Prozent). In Euro ausgedrückt bedeutet das bei Pflegebedürftigen eine jährliche Unterdeckung von 1.685 Euro. Bei zuzahlungsbefreiten Versicherten sind es 1.038 Euro, bei Erwerbsminderungsrentnern 829 Euro und bei ALG-II-Beziehenden 123 Euro.
Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes und für Finanzen zuständig, kritisiert die „Gerechtigkeitslücke“. „Vulnerable Versichertengruppen werden bei den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds systematisch schlechter gestellt.
Umgekehrt sind junge, gesunde Versichertengruppen nach wie vor finanziell überkompensiert.“ So würden erhebliche Anreize für Krankenkassen gesetzt, sich stärker um jüngere, kostengünstigere Versicherte zu kümmern als um vulnerable und sozial schwache Menschen.
Man setze sich deshalb dafür ein, den Morbi-RSA weiterzuentwickeln. Der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des RSA müsse die benannten Schwachstellen bei der Berücksichtigung vulnerabler Gruppen im Rahmen seiner für 2024 geplanten Evaluation untersuchen und der Ampelkoalition auf dieser Basis konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung machen. „Dazu braucht es allerdings noch in diesem Jahr einen gesetzlichen Auftrag an die Wissenschaftler“, betonte Hoyer.
Zusätzlich müsse festgelegt werden, dass die bei den Krankenkassen vorhandenen Daten zu den relevanten vulnerablen Gruppen schnellstmöglich an das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) übermittelt werden. Dafür solle ein bereits laufendes Gesetzgebungsverfahren genutzt werden. "Geeignet wäre aus unserer Sicht das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz", so Hoyer.
Jürgen Wasem, Lehrstuhlinhaber für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen und Mitautor der Studie, sprach von einer „unguten Situation“, da Unter- sowie Überdeckungen im Morbi-RSA – der „möglichst zielgenau“ sein solle – Fehlanreize für die Versorgung bewirken würden.
Die Forderungen nach einer entsprechenden Evaluation des RSA-Beirates seien deshalb „valide“ – er erwarte eine Bestätigung der vorgelegten Ergebnisse. Durch Integration der Merkmale aller vier untersuchten Versichertengruppen könnten sich seiner Einschätzung nach die Fehldeckungen „manipulationsresistent und anreizkompatibel“ beheben lassen.
Wasem betonte, dass es sich bei den betroffenen Gruppen um relevante Größenordnungen handle. In der Studienstichprobe, der Gesamt-GKV adjustierte Datensatz umfasste rund 9,2 Millionen AOK-Versicherte, summiert sich die Personenzahl auf gut 1,8 Millionen.
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