Morbus CHAPLE: Genomanalyse identifiziert neue Erkrankung und findet mögliche Therapie
Bethesda/Wien – Die Beschädigung beider Genkopien für CD55, einem Regulator des Complement-Systems, kann eine lebensbedrohliche Enteropathie durch Proteinverlust auslösen. Die Entdeckung der neuen Erkrankung, von den Forschern Morbus CHAPLE getauft, hat laut ihrem Bericht im New England Journal of Medicine (NEJM 2017; doi: 10.1056/NEJMoa1615887) den Weg zu einer Behandlung geöffnet, mit der eine andere Forschergruppe bereits begonnen hat (NEJM 2017; doi: 10.1056/NEJMc1707173).
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms und die Möglichkeit, das Erbgut innerhalb kurzer Zeit zu vertretbaren Kosten zu sequenzieren, hat eine neue Ära in der Medizin eingeläutet. In kurzen Abständen werden neue Erkrankungen beschrieben, die durch Mutationen in einem der etwa 20.000 Gene des menschlichen Erbguts ausgelöst werden. Häufig bildet eine Häufung von Erkrankungsfällen in konsanguinen Familien den Anlass für eine genom-weite Suche nach den Auslösern.
Diese Situation lag auch bei elf Patienten aus acht Familien syrischer, marokkanischer oder türkischer Herkunft vor, die im frühen Kindesalter an einer schweren Enteropathie mit Proteinverlust erkrankt waren. Zu den Folgen gehört eine Fehlernährung mit Gedeihstörung. Der Verlust der Proteine, darunter auch Albumin und Gammaglobuline, hatte Ödeme und Thrombosen im Darm zur Folge sowie bei einigen Patienten auch eine Abwehrschwäche.
Die Sequenzierung des Exoms, also das Auslesen aller proteinproduzierenden Gene, und der Vergleich mit den gesunden Familienmitgliedern führte zur Identifizierung des Gendefekts. Das Team um Kaan Boztug vom CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien und Michael Lenardo vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda entdeckt in der Gensequenz von CD55, einem Rezeptor von Abwehrzellen, ein sogenanntes Stopcodon: Es veranlasst die Ribosomen, die Proteinfabriken der Zelle, zum vorzeitigen Abbruch der Translation und zur Bildung eines verkürzten CD55-Moleküls ohne Funktion.
Die Aufgabe von CD55-Protein, auch „Complement decay-accelerating factor" genant, ist die Kontrolle des Komplement-Systems. Dieser Teil des Immunsystems ist an der Abwehr von Bakterien und anderen Krankheitserregern beteiligt. Es „stanzt“ Löcher in die Membran, woraufhin diese „auslaufen“. Das Komplement-System kann jedoch auch körpereigene Zellen angreifen, was das CD55-Protein normalerweise verhindert. Der Ausfall des CD55-Proteins führt bei den Patienten zu Löchern in der Darmschleimhaut, und mit der auslaufenden Flüssigkeit gehen auch Proteine verloren. Die Hypoproteinämie führt zum Austritt von Flüssigkeit ins Gewebe, und in den Gefäßen bilden sich infolge der „Austrocknung“ Blutgerinnsel.
Die Forscher bezeichnen die Erkrankung als CHAPLE-Erkrankung. Das Akronym steht für „CD55 deficiency with hyperactivation of complement, angiopathic thrombosis, and protein-losing enteropathy“. Die Erkrankung gehört zu den primären intestinalen Lymphangiektasien, auch als Morbus Waldmann bezeichnet. Wie häufig der Morbus Waldmann auf die gleiche Mutation zurückzuführen ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Ein Leserbrief von Alina Kurolap vom Technion–Israel Institute of Technology in Haifa, die die gleiche Störung bei drei Personen einer arabischen Familie gefunden hat, deutet darauf hin, dass die Erkrankung möglicherweise nicht so selten ist, wie die wenigen Fälle vermuten lassen.
Die Identifizierung der genetischen Ursache kann einen Ansatzpunkt für die Entwicklung von Medikamenten liefern. Bei den meisten neu entdeckten Erkrankungen müssen diese Medikamente erst noch entwickelt werden. Für die CHAPLE-Erkrankung könnte es bereits eine wirksame Therapie geben.
Der monoklonale Antikörper Eculizumab hemmt das Protein C5 des Komplementsystems. Eculizumab wurde 2007 zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) zugelassen. Die PNH hat eine verwandte Pathogenese wie der Morbus CHAPLE. Bei der PNH liegt eine Störung der Merkmale CD 55 und CD 59 vor, die normalerweise Erythrozyten vor dem Angriff des Komplementsystems schützen. Der Ausfall hat die Zerstörung der Erythrozyten zur Folge mit der vermehrten Ausscheidung der freigesetzten Hämoglobine.
Boztug und Lenardo haben Eculizumab bisher nur im Laborexperiment untersucht, wo es zuverlässig die Konzentration des Komplementfaktors C5a gesenkt hat. In Israel wurde bereits mit einem Behandlungsversuch begonnen. Bei allen drei Patienten kam es zu einem Anstieg der Albumin- und Proteinkonzentration im Blut sowie zu einem deutlichen Rückgang der täglichen Stuhlgänge.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: